Der Klassiker AAS String Studio in der Version 2 – Testbericht

Das Konzept der physikalischen Modellierung von Instrumenten faszinierte mich von der ersten Begegnung an. Dass Programmierer in der Lage waren mathematische Modelle von Teilen von Musikinstrumenten, ihrer Funktion und Interaktion zu erstellen und dabei ein realistisch klingendes Ergebnis heraus kam verblüffte mich sehr. Und so war damals, als es String Studio von Applied Acoustic Systems zum Supersonderpreis gab eines der ersten virtuellen Instrumente, das ich mir anschaffte.

Wer sich heute kostenlos mit simulierten Saiten vertraut machen will, kann das nach wie vor mit RMXL von Krakli oder dem hybriden Synth M-Theory von UGO Audio tun. String Studio bietet aber im Vergleich ein erweitertes und übersichtlicheres Feature-Set, wenn auch eine ähnliche Klangqualität.

Die Grundqualität des Klangs von String Studio, bzw. der Grad an Realismus, der mit dieser Methode der Klangerzeugung erreicht werden kann, stellt sich heute auch deutlich anders dar, als vor zehn Jahren. Mittlerweile konnten Sample-Bibliotheken von Saiteninstrumenten bei der Expressivität deutlich aufholen. Die Skripte für Kontakt sind ausgefeilter und eine gute gesampelte Gitarre schlägt String Studio, was realistisch klingende Melodielinien angeht bei weitem.

Die Zeit ist aber auch bei anderen physikalisch modellierten Instrumenten in Bezug auf den Grad des erreichbaren Realismus nicht stehengeblieben. Der Vergleich ist zwar unscharf, weil etwas oder auch ganz andere Nischen besetzt wurden, aber man kann sagen, wo String Studio vielleicht 85% an Realismus erreicht, schafft Pianoteq mit seinen Klavieren und abgeleiteten Instrumenten 95%. Und auch Wallander mit seinen Trompeten oder Orchesterblasinstrumenten legt eine Schippe drauf. Der Grundklang von String Studio ist aber genau der gleiche, wie vor zehn Jahren und das fand ich bei der Version 2 nach so langer Zeit etwas enttäuschend.

Wo String Studio und ähnliche physikalisch modellierte Instrumente glänzen, sind die Möglichkeiten bei der Variation der Klangfarbe und des Klangcharakters. Wo eine Sample-Bibliothek auf den Klang eben dieses real existierenden und aufgenommenen Instruments festgelegt ist, kann man an den Parametern des simulierten Instruments nach Herzenslust schrauben und eine sehr breite Palette an verschiedensten Sounds erreichen. So sind auch ethnisch klingende Instrumente möglich oder sehr künstlich und unnatürlich klingende Effekte, die so keinem realen Instrument der Welt zu entlocken wären.

Die neue Oberfläche

String Studio Play
String Studio Play

Verändert wurde bei String Studio VS-2 die Oberfläche. String Studio startet nun wie Ultra Analog VA-2 mit einer Play-Seite, die Zugriff auf die wichtigsten Performance-Parameter wie Keyboard-Einstellungen und Playmodes und die Effekte bietet. Die Effekte bekamen aber eine eigene, sehr übersichtliche Seite. Der Arpeggiator ist viel größer und besser bedienbar. Im oberen Bereich bleibt immer die neu gestaltete Soundbibliothek sichtbar und nimmt weniger Platz ein. Was gleich auffällt, ist der großzügiger bemessene Platz um die Bedienelemente, die Buttons sind etwas größer und vor allem die Beschriftung nicht mehr so winzig, auch im Vergleich zu der erneuerten Oberfläche von Ultra Analog gefällt mir, dass die Reglerstellung und ob ein Panel aktiv ist oder nicht, besser erkennbar ist.

String Studio Edit
String Studio Edit

Bei der eigentlich zentralen Edit-Seite hat das aber auch den Nachteil, dass jetzt nicht mehr alle Parameter im Überblick sind. Die Geometrie-Einstellungen des Exiters sind beispielsweise in einem Tab verborgen und auch von String, Damper und Termination sieht man nur jeweils abwechselnd ein Panel. Klar ist das Ganze nun deutlich Augenschonender, aber man ist schon mit einigen Klicks unterwegs um sich einen Überblick der Einstellungen eines Patches zu verschaffen. Es ist zwar mit der neuen Barrierefreiheit auf den Panels nun auch möglich, die vorher immer jeweils verborgenen Einstellungen für Key und Velocity nebeneinander zu sehen. Jedoch präsentiert sich das nun als eine Reihe gleichartiger Buttons, die in der alten Version noch in einer anderen Farbe gehalten waren, was hier auch gut getan hätte.

Insgesamt bietet die neue Oberfläche Vor- und Nachteile, die Elemente und Beschriftungen sind nicht mehr so winzig, dafür geht Übersichtlichkeit verloren. Ein kaum lösbares Problem. Ein vektorbasiertes GUI, das man beliebig vergrößern und verkleinern könnte und bei dem man die Elemente dann in ausreichender Größe nebeneinander anordnen könnte, statt in Tabs wäre ein denkbarer Ansatz. Ideal wäre ein Interface, das dann ab einer bestimmten Verkleinerung in eine getabbte Version umspringt. Das habe ich aber so noch nicht mal bei Melda Productions gesehen, die bei Vektor-GUIs Vorreiter sind.

String Studio Effects
String Studio Effects

Die neue Effekte-Seite bietet zuoberst gleich die zwei neuen Effekte Equalizer und Kompressor, der Equalizer ist vierbandig und eher schlicht gestaltet, aber an dieser Stelle sicher nützlich, er bietet auch die Möglichkeit, seinen Output als Sidechainig-Signal auf den Kompressor zu leiten. Der Kompressor kann im Signalfluss mit Hilfe des Pre-Buttons auch vor den EQ geschaltet werden. Darauf folgen zwei Effekt-Slots, die mit verschiedenen Effekten bestückt werden können, die von Delay, Distortion, Chorus, Flanger, Phaser, Wah Wah, Auto Wah bis zu einem Notch-Filter reichen. Zum Schluss in der Kette ist fest ein Reverb gestellt, dass auch von einfacherem Gemüt ist, aber für den Hausgebrauch ausreichend. Für hochwertigere Halleffekte muss man bei Bedarf wie üblich einen externen Hallprozesssor verwenden. Die Effektseite hat gegenüber dem Vorgänger dazugewonnen, stellt jedoch, ähnlich wie bei Ultra Analog VA-2 oder Lounge Lizard EP-4 die einzige klangliche Verbesserung dar.

Sonstige Verbesserungen

String Studio VS-2 liegt nun auch in einer Zeitgemäßen 64-bit Version sowohl für PC als auch für Mac vor. Eine wesentliche Verbesserung ist aber für mich die Unterstützung von Scala-Tuning Files, ein Feature, dass ich bei Chromaphone nach wie vor sehr vermisse. Das mag vielen in der alltäglichen Praxis schnurzpiepegal sein, aber es eröffnet im experimentellen Bereich und bei Weltmusik, in der nun mal andere Skalen vorkommen völlig neue Möglichkeiten.

Patcherstellung und Soundbänke

Die Patcherstellung in String Studio unterscheidet sich grundlegend von der bei analogen Synthesizern. Da sich die Parameter aber an den funktionellen Teilen eines Saiteninstrumentes orientieren, erschließen sie sich rasch. Solange man sich im Bereich „normaler“ Töne bewegt, seien es gezupfte oder gestrichene lassen sich diese innerhalb gewisser Grenzen variieren. Wählt man aber extremere Einstellungen, wie eine lockere Saite oder erhöhte Auswirkungen der Velocity auf den Exciter wird das Ergebnis sehr unvorhersehbar und schon sehr geringe Werteänderungen können bewirken, dass der Ton im Charakter völlig umspringt. Gerade die eigentlich interessanteren Sounds mit vielen Obertönen können aufgrund der entstehenden Nebengeräusche, Klopfen, Scharren und Rumpeln völlig unbrauchbar sein.

Die von der Mittellinie abweichenden Patches in den verschiedenen Soundbänken für String Studio belegen, dass es geht, aber auch eine vertiefte Auseinandersetzung und viel Rumprobieren erfordert. Gerade, wenn man versucht diese Presets etwas zu verändern erfährt, man öfters, dass es eben nur genau mit dieser Reglerstellung funktioniert, weil sich die Auswirkungen der Parameter gegenseitig beeinflussen.

Nicht nur in der Factory-Soundbank, sondern auch in den zusätzlichen Soundbänken, seien sie nun von AAS oder Xenos Soundworks finden sich viele ähnliche Sounds, was eben daran liegen mag, dass die Variation im mittleren Parameterbereich besser handhabbar ist. Doch es gibt auch etliche sehr interessante extremere ethnisch oder künstlich klingende Presets, die man sonst kaum mal hört. Vor allem die „Jouneys“ -Soundbank sticht hier hervor. Insgesamt kann man sagen, dass sich bei diesem Synth der Kauf zusätzlicher Soundbänke lohnt, da es eher mühsam ist, gerade die ungewöhnlicheren Klänge selbst zu erstellen und vermutlich mit diesen Soundbänken ein großer Teil des Spektrums, das mit diesem Instrument überhaupt möglich ist bereits abgedeckt ist.

Da ich zufällig gerade diese Tage, bevor die neue Version von String Studio herauskam, die komplette Modeling Suite neu installiert und durchgetestet hatte, ob auch alles lief, fiel mir erneut auf, dass es schon größere Überschneidungen zwischen verschiedenen Instrumenten von AAS gibt. Bei schätzungsweise einem Drittel der Patches könnte man nicht sicher sagen, ob der Klang nun aus String Studio, Lounge Lizard oder Chromaphone kommt. Tassman ist ohnehin dabei außen vor, weil er Elemente aller Einzelinstrumente vereint.

Was möglich gewesen wäre

Auf dieses Update von String Studio warte ich schon lange. Nach den schon herausgekommenen Updates für Lounge Lizard und Ultra Analog war ja schon zu erahnen, dass sich die Neuerungen auf die Oberfläche und die Effektsektion beschränken würden. Das finde ich gerade bei String Studio enttäuschend, weil meinem Eindruck nach bei diesem Synth schon mehr möglich gewesen wäre. Gut ein fetter Pluspunkt ist die Scala-Unterstützung, die generell auch den anderen Instrumenten von AAS gut anstehen würde und der allein schon das Update für mich zwingend macht. Aber wieder einmal bleiben die Entwickler von Applied Acoustic Systems auf dreiviertel der Strecke stehen, was ich schon bei Chromaphone frustrierend fand. Nicht nur, dass am Realismus des Klangs wahrscheinlich noch etwas zu machen wäre, (Beispiel: IronAxe von Xhun Audio, zwar spezialisiert auf E-Gitarre, aber auch physikalisch modelliert). Was die Flexibilität und Expressivität beim Spiel angeht, hätte AAS bei den eigenen beiden Gitarren-Plugins Keyswitches, Spielhilfen und Strum-Modi abschauen können – was wäre das für tolles Instrument mit den erweiterten Klangmöglichkeiten gegenüber den Gitarren geworden! Und nein, auch jetzt gibt es keinen überzeugenden Spielmodus für Harfenklänge, das machte das kleine, auch physikalisch modellierte Harp Time Pro von NUSofting besser.

Auch wären durchaus noch neue Methoden der Klangerzeugung möglich gewesen, die das Spektrum im experimentellen Bereich erweitern. Der neue Kaivo von Madrona Labs macht es vor, wo zur Abwechslung Grains von Sounddateien als Exiter auf physikalisch modellierte Resonatoren wirken. Oder auch die Prinzipien von Enzyme von Humanoid Sound Systems wirken deutlich innovativer, als das Trägheits- und Dämpfungssystem von String Studio und würden als Alternative eine Erweiterung der Möglichkeiten bedeuten.

Die Entwickler von AAS verfolgen die Strategie, aus den Modulen von Tassman einzelne Instrumente zu machen und diese zu verfeinern, gegeneinander abzugrenzen und separat zu verkaufen. Das mag vor zehn Jahren seine Berechtigung gehabt haben und geschäftlich auch heute noch funktionieren, aber es wird dabei nicht an den Kunden gedacht. Ich erwarte bei dem Potential, dass String Studio bietet, echte Innovationen und nicht nur eine neue Oberfläche. Für das fällige Update von Tassman lässt das auch nichts Gutes erwarten. Würden die Features der Gitarren-Plugins, von String Studio und von Chromaphone in vollem Umfang in Tassman zurückfließen, dann könnte man zwar vielleicht auf die Einzelinstrumente verzichten, aber Tassman wäre wahrhaft ein Über-Synth.
http://youtu.be/asJ0IUZ0eDY

Fazit

Der Stellenwert eines Instruments im persönlichen Fundus hängt natürlich immer davon ab, was man innerhalb seiner Schwerpunkte daraus macht. Ich muss sagen, dass für mich String Studio über den Bereich interessant und für Sound Design einsetzbar bisher nicht hinauskam. Auf der Seite von AAS zum neuen String Studio belegen aber das Video und die Demos von Thiago Pinheiro, dass man damit durchaus auch groovige Performances hinlegen kann.

Innerhalb seiner Nische ist String Studio sicher das mächtigste Programm, wenn es um Soundvariationen, die man aus einer virtuellen Saite herausholen kann, geht. Dennoch ist es leider nicht wirklich so weiter entwickelt worden, wie es möglich gewesen wäre. Auf ein grundlegend besseres Instrument, wie oben umrissen warte ich immer noch.
Dennoch ist String Studio VS-2 ein vielseitiges Instrument, dessen besondere Stärken für den einen oder anderen passen können.

Und das Update, insofern man die Vorgängerversion schon besitzt, ist günstig. Im Moment mit dem Einführungsangebot, bei dem es die neue Soundbank Frontiers kostenlos dazugibt (die regulär schon mehr kostet) erst recht.

Weitere Infos unter: www.applied-acoustics.com/string-studio-vs-2

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