Glass and Steel von Spitfire Audio Testbericht

In ihrer Producer-Reihe kleinerer Instrumente konzentrieren sich die Sound Designer von Spitfire Audio diesmal auf „gefundene Objekte“ aus Glas, Keramik und Stahl. Im wesentlichen Geschirr, Trinkgläser und Schalen aus Metall, gefunden unter anderem in Trödelläden um London und die in ihrem Londoner Studio von dem Percussionisten Paul Clarvis nach allen Regeln der Kunst mit verschiedensten Werkzeugen und Schlegeln angeschlagen oder mit dem Bogen gestrichen wurden.

Nun gibt es Soundbibliotheken aus ähnlichen gefundenen Objekten zuhauf und man fragt sich: was machen sie anders, was unterscheidet diese Klänge von anderen? Es ist zunächst die Detailgenauigkeit, mit der die Sounds aufgenommen wurden und die Aufmerksamkeit, die man dem Tuning der Instrumente zuwandte, denn es sind gestimmte Soundsets.

Glass_and_Steel_Main

In der Abteilung der Bibliothek mit den „rohen“ Klängen lässt sich das nachvollziehen. Jedes dieser Presets ist ein eigenes voll spielbares Instrument. Darüber hinaus wurde auf das Grundmaterial des größten Teils der Bibliothek mit cinematischen Klängen wie üblich bei Spitfire Audio heftigstes Sound Design angewendet, das die einfachen Ausgangsobjekte in völlig andere Klangwelten umwandelte. Das geschieht mit Hilfe der eDNA Engine mit ihren ausgefeilten Effekten.

Glass_and_Steel_square_press_400px

Glass and Steel besteht aus 3.153 Samples, die unkomprimiert 3,3 GB Speicherplatz brauchen, 1,6 GB sind es dann komprimiert nach der Installation. Die ca. 200 Presets, unter denen allerdings viele Variationen sind gliedern sich in die Kategorien Cinematic Rhythms, Cinematic Systems, Disturbed Morphs, Hand Blown Pads und Raw Glass and Steel. Wobei die rohen Sounds ungefähr 50 Presets umfassen. In diesen sind aber auch öfters zwei Samples, meist in einer Soft- und Hard-Variante zusammengefasst.

 

eDNA Engine

Zum Aufbau der eDNA Engine, einem von Spitfire Audio entwickelten Kontakt-Skript habe ich schon in dem Testbericht zu Joey Santiago einiges gesagt und verweise auch wiederum auf das Video auf der Produkt-Seite bei Spitfire Audio, das sehr schön die Grundzüge erklärt. Grundsätzlich verfügt eDNA über zwei Sample-Slots, in die die Einzelklänge geladen werden, in dem Fall die bearbeiteten Percussion-Samples der Objekte. Diese zwei Kanäle werden in einem Mixer gemischt, den man entweder mit einem LFO oder manuell in Bewegung versetzt. Danach kommt ein Gate-Sequencer, dessen Besonderheit es ist, dass er den Input hart oder weich rhythmisch zerhacken kann. Unter der Haube werkeln auf den zwei Kanälen oder auf dem Master noch umfangreiche Effekt-Ketten.

 

Raw Glass and Steel

Die originalen weitgehend unveränderten Samples der Gläser, Tassen und Metallschalen. Soweit ich es anhand des Mappings nachvollziehen kann sind es meist zwei oder drei Velocity-Stufen, die dann über den gesamten Bereich aufgezogen wurden. Also nicht anders, als man es normalerweise in Heimarbeit mit einem solchen Ausgangsobjekt auch machen würde. Die Aufnahmequalität an sich ist exzellent, die Samples akkurat getuned. Was in vielen Fällen auffällt ist der große Unterschied im Timbre der Velocity-Stufen, was ja an sich den Klang interessanter machen kann, aber oft dazu führt, dass der Sprung in der Lautstärke sehr deutlich wird.

Bei den kleineren Gläsern oder Tassen, die ein helles „Ping“ von sich geben ist der Unterschied in der Klangfarbe oft nicht allzu groß. Die mit Wasser gefüllten Gläser hängen im Ausklang noch eine leichte Tonhöhenveränderung dran. Zu den großen Glasschalen und denen aus Metall spannt sich jedoch ein weites Feld verschiedener Töne von ganz klar bis eher atonal perkussiv oder mit leicht dissonanten oder metallischen Obertönen auf. Eine eigene Kategorie bilden die mit dem Bogen gestrichenen großen Schalen.


Mit den Original-Samples hat man eine Reihe von Glockenspielen zur Verfügung, die von eher gewohnt-klassisch klingenden Exemplaren bis zu den in meinen Ohren wunderschön reich ausschwingenden großen Objekten, die man in dieser Qualität dann doch nicht so oft findet. Selbst bei den hohen Soundsets nimmt man wahrscheinlich noch den Unterschied zu FM-Klängen wahr. Ich sah mich veranlasst zum Vergleich noch Chromaphone aufzumachen, dass noch etwas realistischere Glockentöne per Physical Modeling erzeugt, als die klassische FM-Synthese. Ich habe ein Beispiel gemacht, in dem Glass and Steel und Chromaphone unregelmäßig gemischt sind, ich bin befangen und höre den Unterschied, weil ich weiss, worauf ich achten muss, aber ihr könnt ja mal rein hören, ob ihr wirklich sicher seid, welches Instrument gerade spielt. Die Auflösung der Reihenfolge steht gaaanz unten am Ende des Artikels.

 

Dieses Rohmaterial ist jedenfalls ein prima Ausgangspunkt für eine weiter gehende Verfremdung durch Effekte. Was das Sound Design Team bei Spitfire Audio ja auch ausgiebig gemacht hat.

Die internen Effekte der eDNA Engine bieten einiges an Auswahl und können zu langen, komplexen Ketten zusammengeschaltet werden, die den Sound schon gehörig in die Mangel nehmen. Sie bieten im Vergleich zu externen Effekten die zusätzliche Möglichkeit auf jedes der beiden Samples einzeln eine eigene Effekt-Kette zu legen.

Noch etwas mehr geht mit einem auf Klangverfremdung spezialisierten modularen Mega-Multi-Effekt, wie MXXX von Melda Production.

 

Cinematic Rhythms

In dieser Kategorie wird viel mit dem Gate gearbeitet oder mit einer Kombination aus dem Gate und dem unter der Haube liegenden Arpeggiator von Kontakt. Geeignet ist das Material am ehesten für Film-Scores oder Dark Ambient, da auch einige eher düstere, leicht dissonant verzerrte Varianten in diesen Presets zu finden sind.

 

Cinematic Systems

Die Klänge hier kommen etwas freundlicher und weniger martialisch daher. Öfters wirkt der eigene Arpeggiator von Kontakt im Hintergrund der Patches.

 

Disturbed Morphs

Hier geht es richtig zur Sache mit aggressiven Überblendungen zwischen schrillen und verzerrten Sounds, wuchtigen Schlägen und experimentellen Drones.

 

Hand Blown Pads

Die Pads bieten ein durchmischtes Bild von klassisch wirkenden sanften Klängen bis zu sehr Obertonreichen eher im experimentellen oder Spannungsgeladenen Bereich.

 

Construction Kits

Was ich bei dem auch auf der eDNA Engine aufgebauten Joey Santiago noch schade fand wird hier nun tatsächlich angeboten: man kann eigene Samples einbinden! Da könnten sich andere große Hersteller mit ähnlich komplexen Kontakt-Skripts als Grundlage ihrer Instrumente mal eine Scheibe abschneiden. Was man leider nicht machen kann ist eigene Samples und die der Glass and Steel Library mischen, da diese in dem monolitischen verschlüsselten Kontakt-Format ist. Aber dass eigene Samples reingezogen werden können ist prima, weil man mit der eDNA Engine mit ihrer Mixer-Überbledung, dem Gate und den Effekten schon etwas anfangen kann.

 

Fazit

Mit Glass and Steel begibt sich Spitfire Audio auf ein anderes Niveau, als die üblichen Sound-Bibliotheken von gefundenen Objekten oder abgesampletem Kücheninventar. Die Aufnahmequalität und Weiterverarbeitung ist herausragend. Bei den Raw-Samples wünschte ich mir manches mal, wenn schon nicht mehr Velocity-Samples, dann besser aufeinander abgestimmte, weil die Lautstärke/Timbre-Sprünge immer wieder stören.
Was die Arbeit mit Glass and Steel generell etwas erschwert sind die sehr großen Lautstärkeunterschiede zwischen den verschiedenen Presets, die man mit den Bordmitteln von Kontakt manchmal kaum ausgleichen kann. Sicher sind das teilweise sehr dynamische Klänge, dennoch sind die Presets oft entweder extrem leise oder laut abgespeichert ohne dass ich einen Grund dafür erkennen könnte.
Die Sound Design Patches sind ungewöhnlich und mit prächtigen oder interessanten Obertönen versehen, die sowohl dem Ausgangsmaterial als auch der hohen Sound Design -Kunst der Schöpfer zu verdanken ist, die es schaffen, die Klänge so weit zu verbiegen, den Grundcharakter aber zu erhalten.
Einsetzbar sind die Instrumente in einem weiten Spektrum, nicht nur für Film-Musik, auch in Genres wie Ambient, IDM oder in manchen Fällen sogar für EDM. Die ungewöhnlichen, vielfältigen hohen und tiefen Glockenspiele, die man mit den Raw-Samples zur Verfügung hat können die entscheidenden Akzente in einem Arrangement setzen.

+ hohe Qualität der Samples
+ interessantes, brauchbares Sound Design
+ die ausgefeilten Möglichkeiten der eDNA Engine
++ eigene Samples können eingebunden werden!
– Lautstärke- und Timbre-Sprünge bei verschiedenen Velocities

Produkt-Seite von Glass and Steel: http://www.spitfireaudio.com/shop/producers/glass-and-steel/

 

Ein Testbericht von Stefan Federspiel

Auflösung der Reihenfolge bei dem Glass and Steel/Chromaphone Vergleich: GCGGCCGCGGC

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*