Virta von Madrona Labs Testbericht

Durch externes Audio gesteuerten Synthesizern oder Effekten, die Stimme zu anderen Klängen verfremden gilt schon lange meine gesteigerte Aufmerksamkeit. Bisher fand ich aber eigentlich kaum etwas, was in dem Sinn funktioniert hätte, dass der wesentliche Charakter des Tonhöhen- und Lautstärkenverlaufs erhalten bleibt, aber nicht platt nach einem Vocoder-Effekt klingt.

Nichts gegen Vocoder, aber dieses Prinzip bleibt doch sehr nahe an der Stimme, was ich gerne hätte wäre jedoch ein Sound, der mehr nach Synthesizer klingt und bei dem nicht gleich der Reflex einsetzt: ach ja – klingt wie Kraftwerk…

Virta_Talking_Cello

Virta besitzt auch ein Vocoder-Modul und kann als reiner Vocoder verschaltet werden, aber er bietet darüber hinaus die direkte Steuerung eines Oszillators durch ein Audiosignal. Die Ergebnisse sind jeweils etwas anders, während bei einem Vocoder im Prinzip das Audiosignal in Frequenzbänder aufgespalten und die Energie dieser Bänder durch ein multiples Bandpassfilter oder wenn man so will einem Equalizer dem Carrier-Signal aufgeprägt wird, ist die generelle Tonhöhe durch den Synthesizer bestimmt, der das Carrier-Signal liefert. Virta analysiert jedoch die herein kommenden Audiosignale nach Tonhöhe, Lautstärkeverlauf und durchschnittlicher „Helligkeit“, erkennt den Rauschanteil und generiert ein Gate-Signal. Alle diese Eigenschaften eines Klangs werden getrennt an den Ausgängen des Audio-Moduls zur Verfügung gestellt und können auf andere Module geroutet werden. Man erhält so zum Beispiel einen Oszillator, der dem Audiosignal in Tonhöhe und Lautstärke folgt.

Auch das ist nicht neu, es gibt auf der Software-Seite einige wenige Programme, die das ebenfalls leisten, „The Mouth“ von Native Instruments beispielsweise oder das ebenfalls auf Tim Exile zurückgehend das neuere „Flesh“, das ich leider noch nicht testen konnte. An Hardware kommen eher Gitarren-Synths in den Sinn, am ehesten noch der Boss SY300 Guitar Synthesizer oder die älteren und neueren Exemplare (GR-55) dieser Gattung von Roland oder der VT-3 , der auch nicht nur ein Vocoder ist, sondern auch Synthesizer-artige Effekte liefert.

Was Virta unterscheidet ist der semimodulare Aufbau, ein Teil des Signalflusses ist vorgegeben, der Synth verfügt zwar nicht über viele Module, da einige davon aber frei verbunden werden können multiplizieren sich die Möglichkeiten der Klanggestaltung.

 

Aufbau

Ganz oben befindet sich die Preset-Auswahl, neben den Factory-Presets in den Kategorien Audio Synths, Drones, Effekte, Key Effekte und Key Synths finden sich auch Preset-Bänke von (Beta-) Usern.

Virta_PresetMenue_ausgekl

Die Oberfläche wird durch die dominante Patch-Bay aufgeteilt, in dem schwarzen Feld können virtuelle Verbindungskabel zwischen den Modulen gezogen werden. Darüber sind die Module angeordnet, die hereinkommende Signale verarbeiten, erzeugen oder Modulations-Sgnale wie LFO oder Hüllkurve generieren.
Verbindungskabel können zwischen den oberen Modulen gezogen werden oder in die Inputs in der unteren Reihe. Es gibt aber keine Möglichkeit Signale von unten nach oben zu leiten.

Unten befinden sich Effekt-Module, ein Vocoder, ein Gate, ein Delay mit einem Pitch-Shifter und ein finaler Mixer, der auch noch einen direkten Eingang für die Audio-Signale von oben besitzt und damit die untere Effektkette umgeht und solche für Modulations-Signale, die die Mix-Anteile noch dynamisch beeinflussen können.

Das Key Modul ganz links oben kümmert sich um den MIDI/OSC -Input und leitet an seinen Ausgängen die Signale für Pitch, Gate und Velocity weiter. Auch bis zu drei MIDI CC-Werte können weitergeleitet werden, leider sind die CC-Nummern nicht frei zu vergeben, sondern immer in Reihe, also 1,2,3 oder 119,120,121 usw. was etwas ungeschickt ist.
Es kann auch eine andere Skala eingestellt werden, als die üblichen westlichen 12 Töne pro Oktave. Virta hat schon einen Vorrat an Stimmungen an Bord, versteht das Scala-Format und damit praktisch jede historisch, ethnisch oder mathematisch bestimmte Tonleiter.

Virta_Key

Das Audio-Modul verarbeitet das hereinkommende Klangmaterial, wie schon Eingangs beschrieben und ist schon sehr fortgeschritten. Es werden so ziemlich alle Eigenschaften, die Audio-Signale so aufweisen können heraus gezogen. Dieses Modul ist das Herzstück des Instruments und wie gut es arbeitet bestimmt die Ergebnisse, die man damit erzielen kann. Diese Frage habe ich ausgiebig getestet und festgestellt, dass das Verfahren in Echtzeit seine Grenzen hat und es natürlich sehr auf die Klarheit und Qualität des Klangmaterials an kommt, mit dem man Virta füttert. Aber diese Analyse und Aufsplittung in so viele Signale und die Weiterleitung in einem modularen System ist einmalig.
Bei der Vorbereitung des Sounds hilft der einfache Kompressor im Signalweg, die Regelung der Eingangslautstärke und je nachdem die zwei Beschneidungsfilter. An dieser Stelle können schon die Tonhöhen quantisiert werden – aber sie müssen nicht und das ist oft wichtig. Der Regler „trig.“ bestimmt das Level, ab dem das Gate-Signal ausgelöst wird.

Virta_Audio

Daneben liegt der einfache LFO, der einige Wellenformen bietet, darunter auch Noise und Blip, das einen kurzen Impuls setzt. Der LFO ist zum Host synchronisierbar.

Virta_LFO

Die zwei Oszillatoren sind identisch aufgebaut, sie verfügen über zwei Modi, einen klassischen mit den gewohnten Wellenformen, hier kann von einer mittigen Sinus-Wellenform zu einer Puls- oder Sägezahnwellenform stufenlos überblendet werden. Dazu kommt ein „Vosim“ genannter Modus, den ich mal als Abkürzung für „vocal simulator“ interpretiere, er generiert Töne, die an die Ergebnisse aus einem Vowel-Filter erinnern.
Der Klang der Oszillatoren ist kräftig und klar und eindeutig digital. Die Signale der Oszillatoren können entweder direkt in den abschließenden Mixer geleitet werden oder in die Eingänge des Vocoder-Moduls und die anschließende Effekt-Kette.

Virta_Oszillatoren

Die Envelope hat einen klassischen Aufbau und wird durch Signale aus dem Gate-Ausgang des Audio-Moduls getriggert oder durch das Gate des MIDI-Moduls. Aber es sind auch andere Signalquellen denkbar, so lange sie ausreichende Pegelunterscheide aufweisen. Die Envelope-Modulation ist an den Eingängen der Level der Oszillatoren oder dem Gate unten zu gebrauchen.

Virta_Envelope

Der Patcher in der Mitte ist in meinen Augen sehr viel übersichtlicher, als die „analoge“ Methode Kabel über alten Panels nachgeahmten Bedienoberflächen baumeln zu lassen. Der besondere Dreh ist, dass hier mehrere Kabel von einem Ausgang weg gezogen werden können und umgekehrt auch mehrere Kabel aus verschiedenen Quellen auf einen Eingang. Das vervielfacht die Möglichkeiten nochmals und würde in Hardware viele parallele Buchsen oder Bananenstecker erfordern. Eine sehr effektive Methode Sektionen eines Instruments miteinander zu verbinden statt Menüs oder einer Matrix.

Da die Verbindungen frei gezogen werden können gibt es eine Vielzahl an naheliegenden oder auch experimentellen Möglichkeiten, die einfache oder auch recht komplexe Patches ergeben.
Da die Verbindungen frei gezogen werden können gibt es eine Vielzahl an naheliegenden oder auch experimentellen Möglichkeiten, die einfache oder auch recht komplexe Patches ergeben.

Links unten sitzt der Vocoder, der zum eigenständigen Sound Virtas einen wesentlichen Bestandteil beisteuert. Das Modul ist „Formant“ benannt und bietet vier verschiedene Vocoder-Typen mit 8 bis 256 Bändern. Das Display zeigt die Frequenzverteilung des Eingangs-Signals und darunter das Ergebnis nach dem es die Filterung des Vocoders durchlaufen hat. Am oberen Rand sind noch drei wichtige Modulator-Eingänge, „shift“, „stretch“ und „q“. „Shift“ wendet ein modulierbares Pitch-Shifting auf die Frequenzbänder an, wenn man aus dem Key-Modul den „Vox“ -Output hierauf routet wird der Vocoder vierstimmig mit unterschiedlich breit gespreizten Stimmen, was ziemlich gut kommt.

„Stretch“ streckt oder staucht die Verteilung der Frequenzen und „q“ regelt die Breite der Formant-Filter, von breiten rauschhaften Anteilen zu einem immer klarer und länger ausklingenden Sound. Hier kommt das gleiche Prinzip, wie bei den Formant-Filtern von Kaleidoscope zum Tragen, dass je enger das Frequenzband wird, es gleichzeitig (selbst)resonanter wird und länger ausklingt.
Die vielen verschiedenen Methoden den Klang im Stereo-Feld zu verteilen sind ein willkommenes Schmankerl, das den Sound insgesamt aufwertet.
Insgesamt wirkt der Vocoder auf mich eher roh und etwas sperrig als gefällig, aber mit viel eigenem Charakter. Durch die vielen Modi und modulierbaren Parameter geht auch einiges mehr, als mit einem gewöhnlichen Vocoder.

Virta_Vocoder

Das Gate ist einfach, aber an dieser Stelle effektiv, denn es kann zum Beispiel die Formung der Lautstärke übernehmen, wenn es mal günstiger ist, die Level der Oszillatoren voll aufzudrehen und nicht zu modulieren. Es kennt noch einen Modus, bei dem ein Low Pass Gate mit läuft.

Virta_Gate

Von allen möglichen Effekten, die man in ein solches Instrument einbauen könnte bietet ein Delay wohl die meisten Möglichkeiten, zumal es mit einem Pitch-Shifter kombiniert ist. Sicher, man könnte sich noch eine Distortion-Einheit, einen Chorus oder ein richtiges Reverb vorstellen, aber ein Delay erreicht an diesem Platz am meisten.

Virta_Delay

Die Output-Sektion zeigt in einem Display die aktuell erzeugte Wellenform am Ende an und verfügt über einen sehr nützlichen separaten Audio-Eingang, dessen Volumen und Pan unabhängig von dem Signalstrom aus der Effektkette geregelt werden kann.

Virta_Output

 

Verbindungsmuster

Da bei Virta ohne eigens gezogene Verbindungen wie bei jedem modularen System gar nichts läuft zeigt dieses Video Beispielhaft die Einrichtung eines einfachen Patches, das hereinkommendes Audio in einen Oszillator leitet.

Oder die Erstellung eines Patches für einen einfachen, MIDI-gesteuerten Vocoder.

Um den Grundklang der Oszillatoren zu demonstrieren erstelle ich hier einen Patch für einen klassischen Synth-Sound, den Virta auch kann und modifiziere ihn anschließend zu einem FM-modulierten Klang.

 

Presets

Das Besondere an Virta ist die Fähigkeit externes Audio in Synthklänge umzusetzen. Für die Audio-Synth Kategorie gibt es einige Beispiele, die ein breites Spektum an Variationsmöglichkeiten zeigen. Den Hammer finde ich speziell das Patch „talking cello“, das zwar keinen authentischen, aber immerhin annähernd Cello-artigen Sound produziert, der dem Gesumme und Gesinge folgt, das Ding warf mich ja fast vom Hocker…

Der Synth ist locker in der Lage interessante Dauerklänge zu generieren, es gibt zwar nur wenige Beispiel-Presets, aber da wäre mit etwas Experimentierfreude sicher noch einiges drin.

Virta macht als Effekt-Pugin wegen seiner ungewöhnlichen Kombinationen eine gute Figur. Die Kategorien sind in complex und simple gegliedert. Der Original-Sound kommt meist deutlicher durch, als bei den Audio-Synth Patches, aber nicht immer.

Key Effects sind ebenfalls Audio-Effekte, aber sie werden in der Tonhöhe zusätzlich durch MIDI Input von einem Keyboard oder Piano-Rolle beeinflusst. Das prominenteste Beispiel sind klassische Vocoder.

Hier zum Vergleich andere Vocoder, in dem Fall Vocodex und Vocovee und dann noch mal Virta

 

In der Kategorie Key Synths finden sich Patches, die weitgehend auchaus einem normalen Synthesizer stammen könnten – bis auf die Einbindung des Vocoders, der auch ohne Audio-Quelle den Input aus den Oszillatoren verarbeiten kann und eine eigene Note aufprägt. Das Preset „fuzz trumpet fifths“ hört sich gut an und beschäftigte mich Tagelang, weil es mir letztendlich trotz aller vermeintlicher Erfolge nicht gelang es zu einem Audio-Synth Preset umzubauen. Es reagiert mit seltsamen Sprüngen in der Tonhöhe und zwar abhängig vom Audiomaterial. Und warum es einen MIDI-Trigger braucht, um überhaupt einen Ton von sich zu geben, obwohl gar kein MIDI-Kabel gezogen ist blieb rätselhaft. Im Detail, auch an anderer Stelle ist die Patch-Erstellung mit Virta manchmal tricky und unvorhersehbar – auch im positiven Sinne, dass unversehens interessante Dinge entstehen, die man nicht geplant hat.

Auf Drum Loops kann man sehr unkonventionelle Ergebnisse erwarten.

 

Instrumenten-Synths

Bleibt noch die Frage, die sich mein Kollege Andreas gleich gestellt hat: Taugt Virta als Gitarren-Synth, wie die am Anfang erwähnten Effekt-Geräte von Boss und Roland, nur als Software? Die Antwort ist: nein, nur sehr bedingt und die Tests zu dieser Fragestellung zeigen deutlich die Grenzen der in diesem Synth angewandten Verfahren auf.
In dem Virta-Handbuch, das übrigends wirklich apart gemacht ist, wird ausdrücklich ermuntert auch andere Klangquellen auf Virta los zu lassen, als Vocals, für die er optimiert ist. Und die Ergebnisse damit sind etwas anders und durchaus lohnend. Nur wird schnell deutlich, dass man nicht erwarten sollte, dass schnelle Noten erkannt werden und dass das Ganze ohne Glitches und Fehlerkennungen der Tonhöhe abläuft. Alles, was schneller ist, als ein 16tel bei 110 BPM kann man vergessen und alles, was auch nur Ansatzweise polyphon ineinander gespielt ist.
Je nach Art der Klangquelle gelingt die Erkennung der Noten besser oder schlechter. Eine cleane E-Gitarre geht schlechter, als z. B. Stimm-Samples aus Exhale und am besten logischerweise reine Sinuswellen aus einem Synth.

Verdeutlicht wird das noch ein mal durch einen Vergleich von Gitarre als Audio-Input in Virta gegen die gleichen Noten als MIDI-Input.

 

 Klangfragen

Es ist nicht so leicht in Virta einen Sound zu basteln, der im gewohnten Sinn wohlklingend ist, die Oszillatoren klingen sehr digital, die Filter völlig neutral, schmeichelnde Effekte wie ein Chorus fehlen. Der einzige andere Effekt/Synth, der Audio-Input umwandelt, den ich zur Verfügung habe (von Kaleidoscope abgesehen, aber das ist sehr weit entfernt) ist „The Mouth“ von Native Instruments. Hier reagiert auch eine Analyse-Einheit im Hintergrund auf externes Audio und extrahiert Pitches und Lautstärken und steuert damit einen internen Synth und einen Vocoder. Also prinzipiell ähnlich, nur ist das Bedienkonzept diametral entgegengesetzt und alles andere als modular. Bei „The Mouth“ hat man nur Presets und ein paar Knöpfe, die den Klang beeinflussen und einen Mixer, der das Original-Signal, den Synth, den Vocoder und die Effekte mischt. Was den Klang aufpeppt sind die Vermehrfachung der Stimmen in Intervallen und die Effekt-Einheit. Dennoch: der Synth und der Vocoder klingen an sich wesentich gefälliger.

Was mich bei „The Mouth“ immer gestört hat ist, dass man die Tonhöhenquantisierung nicht abschalten kann, was dazu führt, dass die Original-Tonhöhen, die nie ganz genau sind oder gleiten in ein Schema gezwungen werden und dabei jede Menge Glitches entstehen, bzw. das Original manchmal kaum mehr zu erkennen ist.

Zum Vergleich also die gleichen Audio-Beispiele durch verschiedene Presets von „The Mouth“ gejagt:

 

Fazit

Virta ist mit Sicherheit ein sehr exotisches Ausnahme-Instrument. Der semi-modulare Aufbau eröffnet für kreative und experimentierfreudige Klangbastler ein weites Feld und die Implementierung des Audio-Moduls und das Gesamt-Konzept des Synths ist trotz oder weil es so schlicht und einfach ist sehr gelungen. Den Traum, dass man etwas einsingt und das wird dann in einen wunderschönen Synth-Klang mit allen Nuancen überführt kann auch Virta nicht erfüllen und vielleicht geht das technisch grundsätzlich nicht. Wie bei den anderen Synthesizern von Madrona Labs liegen die Stärken eher im Bereich ungewöhnlicher, experimenteller Klänge, ein Schönfärber ist Virta nicht.
Für die Hersteller von Hardware-Modulen für Modularsynthesizer kann ich nur den heissen Tipp geben, das Audio-Modul mit einem DSP-Chip nachzubauen. Aus meiner Sicht wäre das in der Szene der absolute Knaller.

+ Sehr flexibles, modulares und dennoch übersichtliches Konzept
+ Einmaliges Audio zu „CV Werte“ Modul
+ Der Patcher ist genial
+ Ein Paradies für Klangfrickler
+ Starkes experimentelles Klangmaterial

– Tonhöhenerkennung nicht ganz genau

Produkt-Website: http://madronalabs.com/products/virta

Ein Testbericht von Stefan Federspiel

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