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Nest modularer MIDI-Sequenzer

Wirklich ungewöhnliche und extrem exotische Audio-Programme gibt es selten. Aus meiner Sicht um so interessanter, jedoch in dem Fall auch etwas einschüchternd.
Sugar Bytes steht seit jeher auch für Audioproduktions-Kost der etwas anderen Art, Obscurium war davon das letzte und vielleicht auch seltsamste Exemplar. Nicht nur ein Synth mit einer verfeinerten Modulationsmatrix, sondern er gibt auch MIDI aus, das sich aus der wechselseitigen Verschiebung seiner Parameter ergibt. Kaum zu erklären, muss man sich Videos dazu anschauen. 

Nest Wire Page

Nest toppt den Nerd-Faktor von Obscurium locker. Hervorgegangen ist dieses Teil aus Eigenbau-Experimenten mit Steck-Platinen (Breadboards), mit denen man Prototypen von Elektronik-Schaltkreisen zusammenbastelt. Die Prinzipien daraus und einen Teil der Schaltungen hat der Entwickler in das Projekt übernommen und dann mit den digitalen Möglichkeiten erweitert. 

Der Aufbau ist modular, man kann zwar keine Module austauschen oder das Ensemble erweitern, aber alles frei verkabeln. Zwanzig Module mit unterschiedlichsten Eigenschaften stehen zur Auswahl. Es werden zwar keine CV-Signale hin und her geschickt, wie bei einem virtuellen Modularsynthesizer, sondern kontinuierliche Werte mit 128 Stufen – also auf MIDI-Tonhöhen oder CC-Werte ausgerichtet oder digitale 0/1 Trigger-Signale, doch das Prinzip ist dasselbe. Grundsätzlich kann man zwischen Signalgeber-Modulen und verarbeitenden Logik-Prozessoren oder nachgeschalteten Werkzeugen, wie den Scale-Filtern unterscheiden. 

Scale zwingt den Output der Stimme auf die gewählten Noten

Heraus kommen bei dem ganzen Kabel-Gewurstel am Ende MIDI-Noten und zwar bis zu acht Stimmen, die auf der Song-Seite auf vier Devices verteilt werden können. Interne Devices, sprich: einfache Synths und ein Drum-Modul. Oder auf intern gehostete VSTs (ähnlich wie bei Obscurium). Aber natürlich können alle oder ein Teil der MIDI-Voices extern ausgegeben und damit z. B. auch Hardware angesteuert werden. Zusätzlich zu den Noten werden vier Modulations-Signale generiert, die man auf CC-Werte mappen kann und damit die Parameter der Instrumente steuern.
Verwendet man die internen Synths oder eingebundene VSTi-Plugins kann man das erzeugte Audio zum Abschluss noch durch einen Hall-Effekt schicken. Da man den Audio-Output jedes Devices auf einen individuellen Channel in der DAW routen kann steht auch einer nachträglichen Effektierung jedes Sounds nichts im Weg. 

Sound Page

Nest ist ein modularer MIDI-Sequenzer – aber was bedeutet das tatsächlich? Wenn man mit modularen Synthesizern vertraut ist, kommt einem auch jenseits der Verkabelung einiges vertraut vor. Logik-Module, die CV-Signale miteinander verrechnen, kommen dort auch vor, wenn auch eher nur fortgeschrittene Anwender wirklich souverän damit arbeiten. In Nest werden ja knallhart Logik-ICs 1:1 umgesetzt, die mathematischen Operationen, addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren, wrap, Min, Max, Average, Percent.  Logic-Gates wie NOR, XOR usw. If/Else ist ein eigenes Modul, es gibt Couter, die herauf- oder herunter zählen, Clock Divider, Sample and Hold. Zwei große, mächtige Signal-Prozessoren sind der Multiplexer und das Shift-Register, die aus einer Handvoll Clock-Triggern komplexe Sequenzen erzeugen. Wobei man immer gegenwärtig sein muss, dass die meisten internen Signalquellen in Nest Trigger-Impulse ausgeben und man oft auch kontinuierliche Quellen, wie die LFOs oder Decay erst durch ein Mathe-Modul schicken oder per aufeinandergestapelten Wires auf einem Input addieren muss um brauchbare Signal-Bandbreiten zu bekommen. 

Die wichtigste Signalquelle ist die Clock, die intern oder zum Host synchronisiert laufen kann, mit ihren verschieden unterteilten Outputs, des Weiteren die LFOs, die Constants, die kontinuierliche Pitch-Werte ausgeben, aber auch moduliert werden können und der 16-Step Sequenzer. Von aussen kann man aus der DAW oder vom Keyboard Noten hinein schicken, die dort dann beliebig weiter verarbeitet werden können. 

Da Modular-Systeme immer mehr als die Summe ihrer Teile darstellen sind die Möglichkeiten, die sich hier bieten, atemberaubend (Krasser Scheiss… Boah ey… WTF!… sind ungefähr die Äusserungen, die mir entfuhren, als ich nach und nach verstand, was ich da vor mir hatte). Wie kann man nur auf die Idee kommen so etwas so konsequent zu überlegen und zu programmieren?!  Damit sind auf jeden Fall deutlich andere Noten-Sequenzen möglich, als mit einem herkömmlichen MIDI-Step-Sequenzer oder Arpeggiator. Aber – und das ist ein großes Aber – ohne vertiefte Auseinandersetzung läuft hier nichts. Man muss bereit sein, sich auf das strikte, logische Konzept dahinter einzulassen und sich einzuarbeiten. Ähnlich wie bei einem Modular-Synthesizer, wenn da auch der Einstieg vielleicht sogar noch etwas einfacher ist, da muss man nicht gleich mit Logik-Modulen arbeiten, um etwas zu erreichen. 

Es gibt Hilfestellung, etliche Videos, die jede Sektion in der Praxis abhandeln, ein brauchbares Handbuch, eine interne Hilfe, die kurz zu jeder Sektion erklärt, was sie macht. Jedoch seine Erfahrungen machen und wirklich verstehen, wie die Wege funktionieren, muss man selbst.
Für Musikproduzenten mit einem Interesse an Experimenten und neuen Erfahrungen kann das Programm sehr passend sein, verspielte, komplexe und ungewöhnliche Arrangements kommen damit in Reichweite. 

Produktseite von Nest: https://sugar-bytes.de/nest

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