Testbericht: CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Jupiter Ascending

Ein Testbericht von Perry Staltic,
veröffentlicht am 27.09.2021

Und wieder einmal hat CHERRY AUDIO einen begehrten alten Synthesizer aus der Mottenkiste hervorgezaubert und diesen anschließend virtualisiert. Das Prozedere ist ja nun schon hinlänglich bekannt: Aus Hardware wird Software und aus lizenzrechtlichen Gründen wird der ursprüngliche Name so weit abgewandelt, dass für den potentiellen Kunden noch erkennbar bleibt, welches Vorbild wohl damit gemeint sein könnte. In diesem Falle etwa wird aus dem JUPITER-4 ein MERCURY-4.

Keine Ahnung allerdings, was CHERRY AUDIO sich da bei der Namensgebung wohl gedacht hat, denn während der Jupiter der Gigant unseres Sonnensystems darstellt, ist der Merkur ja so ziemlich das genaue Gegenteil, nämlich der kleinste Planet im Orbit um die Sonne. Wollen die Kalifornier hiermit etwa andeuten, dass sich die Emulation gegenüber dem Original verhält, wie die beiden Planeten zueinander? Das hoffe ich doch nicht… 😉 Schicken wir also schnell unsere interplanetare Sonde in All und checken das einmal ab!


Sternzeit Eins-Neun-Sieben-Acht…

Der JUPITER-4 stellte der erste serienmäßig produzierte polyphone Synthesizer von ROLAND dar. Mit dem Untertitel COMPUPHONIC wollte der japanische Hersteller ausdrücken, dass hier zusätzlich zur analogen Technik bereits digitale Komponenten einzug gehalten hatten, etwa zur Speicherung von Presets.

Und obwohl eine echte Polyphonie mit unabhängigen Filtern und Hüllkurven pro Stimme in dieser Zeit ebenso neuartig war wie die Möglichkeit, eigene Klänge zu speichern, war dem JUPITER-4 damals doch der ganz große Erfolg versagt geblieben, der seinem später folgenden Namensvetter JUPITER-8, aber auch der günstigen JUNO-Reihe zuteil wurde.

Im selben Jahr erschien nämlich ebenfalls der PROPHET-5 von SEQUENTIAL CIRCUITS, und der bot eine Stimme mehr und ein Vielfaches an Speicherplätzen. Zudem konnte ROLAND mit dem JUPITER-4 sicherlich auch keinen Preis für das schönste Design einheimsen, erinnert das Teil zumindest optisch doch eher an eine BONTEMPI-Heimorgel als an einen professionellen Synthesizer.

ROLAND JUPITER-4
ROLAND JUPITER-4

Dabei gibt es eine durchaus ansehnliche Reihe an namhaften Musikern und Bands, die in ihrer Frühzeit auf den JUPITER-4 schwörten und dies zum Teil auch heute noch tun, erwähnt seien hier stellvertretend einmal nur The Human League, Vince Clarke und Duran Duran. Unter Kennern stellt der JUPITER-4 nämlich ein Garant für rohen und sehr charaktervollen Analogklang mit sehr viel Eigenleben dar und wird daher auch dem vergleichsweise langweiligeren JUPITER-8 vorgezogen.

Dennoch fristete der JUPITER-4 in der Wahrnehmung der meisten Musiker letztendlich eher ein Schattendasein, auch House, Techno und artverwandte Musikrichtungen brachten ihm nicht den späten Ruhm in der Öffentlichkeit, den so manche vormals ebenfalls nicht sonderlich erfolgreiche Gerätschaften ROLANDs, etwa die TB-303 oder die TR-909, erfuhren.

Während die Gebrauchtmarktpreise hierfür bereits seit den 90ern in irrwitzige Höhen kletterte, konnte man einen JUPITER-4 lange Jahre noch für vergleichsweise geringen Obulus erwerben. Diese Zeiten sind jedoch inzwischen leider längst passé, auch die Preise für einen JUPITER-4 haben heutzutage höhere vierstellige Summen erreicht und überschreiten deutlich seinen damaligen Neupreis.


Abschussrampe…

Die basalen Eigenschaften des MERCURY-4, die nichts mit der eigentlichen Klangerzeugung zu tun haben, entsprechen der bei CHERRY AUDIO üblichen Ausstattung. Daher weise ich die Kenner der Materie an dieser Stelle auch wieder mal darauf hin, dass sie prinzipiell nichts verpassen, wenn sie direkt zum Ende dieses Abschnitts springen, wo sie dann doch noch eine kleine Neuerung erwartet.

Für die Neulinge in Sachen CHERRY AUDIO unter Euch seien hier aber zunächst die grundsätzlichen Merkmale des Software-Synthesizers aufgeführt:

Der MERCURY-4 ist eine reine 64-Bit-Software für WINDOWS ab Version 7 sein und für macOS ab Version 10.9. Neben den Plugin-Formaten VST2, VST3, AAX und AU gibt es auch wieder eine Standalone-Version, die keinen separaten Host benötigt. Für APPLE-User sei hier noch angemerkt, dass MERCURY-4 laut CHERRY AUDIO auch mit einem M1-Prozessor lauffähig ist, dieser wird mittlerweile nativ unterstützt.

Wie bei allen meinen Plugin-Tests, habe ich mich auch hier wieder nur um die VST-Versionen gekümmert, die für den Einsatz in einer WINDOWS-Umgebung gedacht sind. Mein Setup, bestehend aus einem stationären Studiorechner (CPU i7-4790K mit 4 x 4,0 GHz, 16 GB RAM) und einem Laptop (CPU i5-4200m mit 2 x 2,50 GHz, 4 GB RAM), ist inzwischen komplett auf WINDOWS 10 umgestellt, für den Studiorechner steht mir aber nach wie vor eine SSD zum alternativen Booten eines WINDOWS 7-Systems zur Verfügung. In Bezug auf die Performance stellte der MERCURY-4 während des Testzeitraums keinen der genannten Rechner vor Schwierigkeiten.

CHERRY AUDIO setzt zur Inbetriebnahme bei allen seinen Plugins auf eine Freischaltung via Internet, so auch beim MERCURY-4. Eine Offline-Aktivierung wird nicht angeboten. Auch bei der vorangehenden Installation will das Plugin noch einige Daten vom CHERRY AUDIO-Server nachladen (ich vermute mal, dass es sich dabei um die Presets handelt), ansonsten kann diese nicht vollständig abgeschlossen werden. Deshalb ist es auch obligatorisch, dass der Host-Rechner einen zeitweisen Zugang zum Internet erhält, der nach der Installation und der Aktivierung dann allerdings nicht mehr vonnöten ist.

Für die Aktivierung sollte man übrigens die Zugangsdaten bereithalten, die man auch für seinen vorab anzulegenden Account bei CHERRY AUDIO verwendet hat, also Email-Adresse und Passwort. Sofern der CHERRY AUDIO-Server den Host-Rechner aufgrund bereits früher freigeschalteter Plugins wiedererkennt, dann erfolgt die Aktivierung sogar automatisch, eine erneute Eingabe der Zugangsdaten ist dann unnötig. Ohne eine derartige Freischaltung verbleibt der MERCURY-4 für 30 Tage im Demo-Modus, dessen einzige Einschränkung in einem periodisch auftretendem Rauschsignal bei der Audioausgabe besteht.

CHERRY AUDIO MERCURY-4
CHERRY AUDIO MERCURY-4

Wie alle Plugins, die CHERRY AUDIO im Programm hat, verfügt auch der MERCURY-4 über eine skalierbare Bedienoberfläche. Auf umschaltbare Themes mit diversen Farbvarianten, wie sie einige der früheren Synthesizer bieten, hat man diesmal verzichtet, vermisst habe ich das ehrlich gesagt auch nicht, ich empfinde den Kontrast des dargebotenen GUI als ausreichend.

Die von CHERRY AUDIO entwickelte FOCUS-Funktion wurde hingegen auch hier integriert. Sie stellt einen vergrößerten Teilbereich der Bedienoberfläche mit einem Mausklick in den Fokus (daher ja auch der Name dieser Funktion…), ein weiterer Klick schaltet zurück auf die normale Gesamtübersicht.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Focus-Funktion
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Focus-Funktion

Auch die weitere Ausstattung kennen wir bereits von früheren Kreationen aus dem Hause CHERRY AUDIO: Es gibt eine UNDO- und REDO-Funktion und MIDI-CONTROLLER lassen sich auf einfache Weise anlernen, wobei ein auf der linken Seite aufrufbares Menü eine detaillierte Nachbearbeitung der MIDI-Mappings erlaubt, beispielsweise die exakte Eingrenzung der Regelbereiche und die Definition von non-linearen Regelkurven. Darüber hinaus lassen sich alle Parameter via Mausrad steuern und in der DAW seines Vertrauens automatisieren. Der MERCURY-4 unterstützt zudem MIDI Polyphonic Expression (MPE).

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - MIDI Learn-Funktion
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – MIDI Learn-Funktion

Das Settings-Menü bietet wieder drei Tabs, in denen sich allerlei globale Einstellungen vornehmen lassen, als da wären das Verzeichnis für die Presets, das Verhalten der Bedienoberfläche, die Optionen für mögliche Updates und nicht zuletzt die persönlichen Zugangsdaten.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Settings
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Settings

Das sogenannte QWERTY-Keyboard ist ebenfalls wieder mit an Bord. Dabei handelt es sich um ein einblendbares und verschiebbares virtuelles Keyboard nebst diversen Spielhilfen, das sich sowohl mit der Maus als auch über die alphanumerische Tastatur des Rechners bedienen lässt. So kann man den Synthesizer dann notfalls auch ohne angeschlossenes MIDI-Keyboard spielen.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - QWERTY Keyboard
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – QWERTY Keyboard

Und auch der Preset-Browser des MERCURY-4 hat CHERRY AUDIO eins zu eins übernommen (warum auch nicht…). Er bietet diverse Kategorien, nach denen sich die Presets filtern lassen, eine praktische Suchfunktion und eine ebenso praktische Favoritenliste, in der sich alle Lieblinge packen lassen, sowie die Möglichkeit, das Browser-Fenster mittels Pin permanent geöffnet zu halten.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Preset-Browser
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Preset-Browser

Bei der Anzahl der Presets hat CHERRY AUDIO sich mal wieder nicht lumpen lassen, mitgeliefert wird eine große Familienpackung mit 300 Stück. Auch die Qualität dieser Klangkreationen ist wieder zu großen Teilen in der gehobenen Klasse angesiedelt, aber das ist natürlich stets Geschmackssache. Nachbildungen der zehn festen Werkspresets, die ROLAND einst dem JUPITER-4 verpasst hatte, finden sich übrigens ebenfalls im Klangvorrat des MERCURY-4, auch wenn diese zugegebenermaßen schon beim Original recht medioker ausfielen. Während diese Presets beim JUPITER-4 unveränderlich waren, lassen sie sich beim MERCURY-4 natürlich vollumfänglich editieren.

Die eingangs angekündigte Neuerung besteht darin, dass der MERCURY-4 als erster Software-Synthesizer von CHERRY AUDIO die Möglichkeit bietet, die Klangqualität durch Aktivierung einer Oversampling-Funktion zu verbessern. Dazu steht ein eigenes Menü bereit, in dem sich das Oversampling von einfach, was der normalen Einstellung entspricht, auf zweifach, dreifach oder gar vierfach umzuschalten.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Oversampling-Einstellungen
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Oversampling-Einstellungen

Im Test konnte ich damit bei einigen Presets selbst über einen kleinen, billigen Kopfhörer eine merkliche Verbesserung des an sich schon guten Grundklangs feststellen, der Sound wirkte dadurch erkennbar plastischer und bei Zurückschalten auf normale Qualität wieder etwas flacher. Man muss aber auch hinzufügen, dass der Ressourcenverbrauch des MERCURY-4 mit der Erhöhung des Oversampling-Faktors sukzessive ansteigt. Es empfiehlt sich daher gegebenenfalls, beim Komponieren und Arrangieren nur mit einfachem Oversampling zu arbeiten und die höchste Qualitätsstufe erst vor dem Mixdown der entsprechenden Spur zu aktiveren. Andererseits hatte ich auch auf dem oben erwähnten Laptop keine Audioaussetzer oder dergleichen, und das, obwohl im Hintergrund noch diverse weitere Programme liefen, inklusive eines Browsers mit zahlreichen geöffneten Tabs.


Planetengetriebe…

Die Klangarchitektur und das Bedienkonzept des MERCURY-4 fällt logischerweise typisch „rolandesque“ aus, wie man sie so oder in abgewandelter Form in vielen Synthesizern des japanischen Herstellers aus dieser Zeit und den unmittelbar darauffolgenden Jahren wiederfindet. Ich habe mich sofort zurechtgefunden, ohne den JUPITER-4 jemals persönlich gekannt zu haben.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Klangarchitektur
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Klangarchitektur

Es gibt genau einen Oszillator nebst einem dazugehörenden Sub-Oszillator sowie einen Rauschgenerator. Das klingt wenig, aber beispielsweise auch ein SH-101, ein JUNO-60 oder JUNO-106 kamen damit ja ganz gut zurecht. Im Gegensatz zu diesen kann der OSC des MERCURY-4 wie schon der seines Vorbildes nur eine Wellenform gleichzeitig wiedergeben, zudem lassen sich Sub-Oszillator und Noise lediglich mit festem Pegel hinzuschalten, nicht aber stufenlos einblenden.

Wem das Gebotene nicht fett genug erscheint, der sollte übrigens mal die UNISONO-Modi ausprobieren, damit lassen sich auch hartnäckige Gallensteine pulverisieren…

An Wellenformen stehen wahlweise Sägezahn, Rechteck oder varibale Pulswelle zur Verfügung, bei letzterer kann die Pulsweite manuell in vier LFO Stufen eingestellt oder dynamisch via LFO moduliert werden.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Klangquellen
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Klangquellen

Ebenfalls an die JUNO-Serie erinnert die Filter-Sektion, bestehend aus einem nur manuell regelbaren 6 dB-Hochpass- und einem modulierbaren 24 dB-Tiefpassfilter, zweiteres mit einer bis in die Selbstoszillation reichenden Resonanz. Das Keyboard-Tracking kann beim Tiefpassfilter in drei Stufen festgelegt (oder aber ganz deaktiviert) werden.

Die Modulationsintensität für die Änderung der Grenzfrequenz lässt sich sowohl für den LFO als auch für die Hüllkurve stufenlos einstellen, wobei die Hüllkurve auf Wunsch auch mit umgekehrter Polarität arbeiten kann. Es handelt sich, nach typisch ROLANDscher Manier, um eine klassische ADSR-Hüllkurve.

CHERRY AUDIO hat dem Tiefpassfilter übrigens auch noch eine regelbare Steuermöglichkeit durch die MIDI-Anschlagsdynamik spendiert, diese fehlte beim Original aus nachvollziehbaren Gründen noch.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Filter-Sektion
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Filter-Sektion

Dem Verstärker steht eine eigene ADSR-Hüllkurve zur Verfügung. CHERRY AUDIO hat hier wiederum gegenüber der Hardware die Möglichkeit hinzugefügt, die Lautstärke via Anschlagsdynamik zu steuern, ebenso wie durch den LFO, für beide Optionen kann die Modulationsintensität stufenlos eingestellt werden.

Die Einstellungen des individuellen, mit einer einer Übersteuerungsanzeige ausgestatteten LEVEL-Reglers, der zusätzlich zum globalen VOLUME-Regler auf der linken Seite existiert, war beim JUPITER-4 mit dem Preset speicherbar, beim MERCURY-4 trifft dies natürlich auf beide genannten Regler zu. Insbesondere beim Einsatz der UNISONO-Funktion empfiehlt es sich, von diesen Reglern Gebrauch zu machen, da hierbei die die Lautstärken durchaus heftig ausfallen können.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Verstärker-Sektion
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Verstärker-Sektion

Links auf dem Bedienfeld finden wir die beiden Modulatoren. Mit TRIGGER wird eine vom LFO unabhängige Sample & Hold-Quelle bezeichnet, regelbar in ihrer Geschwindigkeit (die übrigens auch die des Arpgeggiators bestimmt) und in der Intensität der (Tiefpass-)Filtermodulation.

CHERRY AUDIO hat dieses Modul ebenso wie den LFO sinnvollerweise um Schalter ergänzt, mit denen sich die jeweiligen Geschwindigkeiten zum Host-Tempo synchronisieren lassen.

Während beim Original die beiden Sektionen DELAY/BEND und LFO zumindest optisch voneinander getrennt sind, hat CHERRY AUDIO sie beim MERCURY-4 zusammengefasst. Der LFO verfügt über die vier Wellenformen Sinus, Rechteck, aufsteigender und abfallender Sägezahn. Mittels DELAY TIME stellt man die Verzögerung ein, mit der die LFO-Modulation einsetzt.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Modulatoren
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Modulatoren

Die einstmals separate BEND-Funktion wurde beim MERCURY-4 in den Geschwindigkeitsregler integriert. Steht der dazugehörende Schalter auf NORM(al), dann bietet der LFO eine Spannbreite von 0,1 Hz bis 80 Hz, was den maximalen Möglichkeiten des JUPITER-4 entspricht (die sich ja durchaus schon sehen lassen können). In der WIDE-Stellung hingegen reicht die LFO-Geschwindigkeit beim MERCURY-4 von minutenlangen 0,0015 Hz bis hinauf zu sehr FM-affinen 800 Hz. Dies erweitert somit das Spektrum für Klangexperimente natürlich noch einmal enorm, super!


Swing-by-Manöver…

Wo der JUPITER-4 mit maximal vier Stimmen aufzuwarten vermochte (daher ja auch die 4 in seinem Namen), kann der MERCURY-4 wahlweise mit zwei, vier, acht oder gar sechzehn Stimmen betrieben werden. Er bietet dazu verschiedene Stimmenzuordnungs-Betriebsarten, neben einem rein monophonen Modus mit nur einer Stimme, der beim Vorbild nicht existerte, gibt es noch je zwei Varianten für Polyphonie und Unisono-Spielweise.

Bei den beiden Poly-Betriebsarten ist die zweite vor allem für den Einsatz mit Portamento (siehe weiter unten) prädestiniert.

UNISONO 1 und 2 unterscheiden sich dadurch, dass bei ersterem nur eine Note zur gleichen Zeit mit allen zur Verfügung stehenden Stimmen übereinandergeschichtet gespielt wird, während bei zweiterem auch mehrere Noten göleichzeitig erklingen können, auch die dann jedoch die zur Verfügung stehenden Stimmen aufgeteilt werden (bei maximal acht Stimmen erhalten also zwei gleichzeitig gespielte Noten jeweils vier Stimmen usw.).

In den beiden Unisono-Modi können die geschichteten Stimmen mittels DETUNE-Regler in einem weitem Bereich gegeneinander verstimmt werden. Wie bereits oben erwähnt, sorgt diese Betriebsart für überaus wuchtiges und kalorienhaltiges Klanggut.

Ein weitere Anfettungsoption besteht im ENSEMBLE-Effekt, einem Chorus, dem CHERRY AUDIO gegenüber dem Original noch einen zusätzlichen Regler für die Stereoweite spendiert hat. Dieser Effekt klingt vielleicht nicht ganz so prägnant wie etwa der beliebte JUNO-Chorus, er fügt sich eher subtil ins Klangeschehen ein, man bemerkt ihn aber spätestens dann, wenn man ihn wieder deaktiviert und er somit plötzlich fehlt.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Spielhilfen und Stimmenzuweisung
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Spielhilfen und Stimmenzuweisung

Der DRIFT-Regler soll etwas mehr analoges Feeling in die Emulation bringen, indem er die Stimminstabilität nachahmt, für die der JUPITER-4 aufgrund seiner gerne schon mal aus dem Ruder laufenden analogen Oszillatoren bekannt ist.

Wie schon der JUPITER-4, hat auch der MERCURY-4 einen Arpeggiator an Bord. Ich meine, dass ich sogar einmal gelesen habe, der JUPITER-4 sei der erste Synthesizer gewesen, bei dem ein solcher Akkordbrecher integriert wurde, kann diese Behauptung aber leider jetzt nicht mit entsprechenden Belegen untermauern. Es gibt die vier Betriebsarten UP (aufwärts), DOWN (abwärts), UP-DOWN (abwechselnd aufwärts und abwärts), sowie RANDOM (zufällige Abspielreihenfolge), zudem lässt sich die höchste gespielte Note durch einen Tastendruck am Keyboard festlegen.

Aufmerksame Beobachter werden feststellen, dass der Arpeggiator über keinen Ein-/Ausschalter verfügt. Dies entspricht auch seinem seinem Vorbild im JUPITER-4 und bedeutet, dass sich sowohl Original als auch Emulation – abhängig davon, ob einer der weißen Arpeggio-Richtungs-Schalter oder aber einer der blauen ASSIGGN MODE Buttons gedrückt wurde – stets entweder im Arpegiator- oder im Livespiel-Modus befinden, klingt vielleicht kompliziert, ist es eigentlich aber gar nicht.

Eine Konsequenz aus dem eben Geschriebenen ist aber leider auch, das der Arpegiator nicht zusammen mit Unisono-Klängen zu funktionieren vermag. Vielleicht sollte CHERRY AUDIO an dieser Stelle doch von einer allzu authentischen Nachahmung abweichen…?

Des Weiteren existiert auch noch eine CHORD-Funktion, mit der ganze Akkorde auf eine einzige Keyboardtaste gelegt und anschließend damit abgespielt werden können, auch in transponierter Form über die gesamte Tastatur.

Der HOLD-Button sorgt dafür, dass sowohl der Arpeggiator als auch die CHORD-Funktion nach dem Loslassen der Keyboardtasten weiterhin die vorher gespielten Noten ausgeben.

Neben diversen weiteren Einstellungen, etwa für das Tuning, den Pitchbender und die Tastaturlage, gibt es auch eine Portamento-Funktion, die mit einstellbarer Geschwindigkeit die beliebten „Kaugummi-Melodien“ ermöglicht.


Trabanten…

Zusätzlich zum bereits erwähnten ENSEMBLE-Effekt finden wir beim MERCURY-4 noch die beiden Onboard-Effekte TAPE ECHO und REVERB. Bei deren Design haben sich CHERRY AUDIOs Entwickler ganz offensichtlich vom bekannten ROLAND RE-201 SPACE ECHO inspirieren lassen,

Das Tape Echo simuliert bis zu drei Tonköpfe für unterschiedlich lange Delay-Zeiten und bietet sieben Modi mit unterschiedlichen Kombinationen eben dieser HEADS. Weitere Parameter sind die bei Bedarf zum Host-Tempo synchronisierbare Geschwindigkeit, welche von einer Millisekunde bis zu zwei Sekunden reicht, das Feedback (hier INTENSITY genannt) sowie das Mischungsverhältnis zwischen trockenem und verzögertem Signal. Das Tape Echo erinnert mich in der Tat an die typischen Klangeffekte aus den 1970ern, wie man sie etwa aus zeitgenössischen Sci-Fi- und Horror-Filmen oder aus Hörspielen kennt.

CHERRY AUDIO MERCURY-4 - Echo und Reverb
CHERRY AUDIO MERCURY-4 – Echo und Reverb

Das Reverb bietet die drei Algorithmen SPRING, PLATE und HALL, die tatsächlich auch recht unterschiedlich klingen. Es lässt sich jeweils die Abklingzeit und das Mischungsverhältnis regeln.

Zudem gibt es eine einfache Klangregelung für den Bass und für die Höhen, die sowohl auf das Echo als auf das Reverb wirkt, nicht jedoch auf die trockenen Signalanteile.

Die Effekte sind qualitativ wie immer durchaus zu gebrauchen und ergänzen den angestrebten Vintage-Charakter des MERCURY-4 auch recht gut, insbesondere das Tape Echo, was aber nicht heißen soll, dass hier mit ausgewählten externen Spezialisten nicht noch eine Steigerung erzielt werden könnte. Für meinen persönlichen Geschmack macht ein Teil der Presets einen etwas zu regen Gebrauch von den eingebauten Effekten, doch hier kann man ja zum Glück leicht Abhilfe schaffen.


Im Orbit…

Es ist stets eine undankbare Aufgabe für einen Tester, den Klang einer Emulation bezüglich ihrer Authentizität bewerten zu müssen, wenn er das Vorbild niemals persönlich kennengelernt hat. Der Hinweis, dass dieser oder jener Musiker das Gerät eingesetzt hat, hilft hier nicht wirklich weiter, wenn man nicht weiß, in welchem Stück an exakt welcher Stelle. In einem solchen Fall kann man sich nur auf die im Netz verfügbaren Quellen verlassen, ohne zu wissen, inwieweit hier auch tatsächlich nur der unverfälschte Originalklang zu hören ist. So ging es mir auch mit dem JUPITER-4.

Zudem gibt es auch nicht den einen JUPITER-4-Klang, existierten von diesem Synthesizer während seiner Produktionszeit doch verschiedene Revisionen, die sich aufgrund der Verwendung teilweise anderer Bauteile auch klanglich unterscheiden. Darüber hinaus verfügt jeder JUPITER-4 über sein „Eigenleben“, so dass auch Geräte der gleichen Baureihe durchaus verschieden klingen können.

Wenn ich den MERCURY-4 daher mit den diversen Videopräsentationen und Klangbeispielen des JUPITER-4 vergleiche, dann vermag ich in einigen Fällen durchaus frappierende Ähnlichkeiten zwischen Original und Emulation wiederzuerkennen (so dass ich bei einem direkten 1-zu-1-Vergleich sogar wiederholt falsch lag…), während in anderen wiederum die klanglichen Unterschiede zwischen beiden größer als die Übereinstimmungen waren.

Ich möchte mich daher an dieser Stelle auch nicht weiter darüber auslassen, ob der MERCURY-4 den Klang eines JUPITER-4 nun tatsächlich akribisch nachahmt oder lediglich eine vage Annäherung darstellt, denn der wichtigste und interessanteste Aspekt dürfte für die meisten potentiellen Anwender doch sein Grundklang und das Spektrum seiner Möglichkeiten darstellen.

Und besagter Grundklang ist in der Tat sehr solide und kommt einem analogen Synthesizer durchaus recht nahe. Wie schon weiter oben angemerkt, vermag ein aktiviertes Oversampling den Klang wahrnehmbar in seiner Plastizität zu verbessern.

Beim Test zum MEMORYMODE war mir aufgefallen, dass dieser Synthesizer in den obersten Tastaturlagen ein hörbares Aliasing aufwies. Dies ist auch beim MERCURY-4 der Fall, macht sich hier jedoch nicht ganz so stark bemerkbar, außerdem trägt das Oversampling dazu bei, die entsprechenden Artefakte weitgehend zu reduzieren. Wir reden hier ja im Prinzip auch nur von Tonhöhenbereichen, die in der Regel allenfalls dann von wirklicher Relevanz sein dürften, wenn man vorrangig für eine Hörerschaft zu musizieren pflegt, die aus Fledermäusen oder Hunden besteht.

Und obwohl der MERCURY-4 wie sein Vorbild mit einem eher bescheidenen Synthesebesteck auskommen muss, so ist damit doch ein vielfältigeres Klangspektrum möglich, als man auf den ersten Blick vermuten könnte, nicht zuletzt auch durch den schnellen LFO. Jedenfalls sind die Möglichkeiten deutlich über denen eines JUNO-Modells angesiedelt, und bei diesen jammert ja schließlich auch niemand herum. Der MERCURY-4 klingt übrigens auch ganz anderes als etwa der der DCO-106 aus dem selben Hause, CHERRY AUDIO scheint also nicht bloß ein anderes GUI auf die selbe Sound-Engine zu legen!

Für das Klangbeispiel in Form eines kleinen Tracks habe ich insgesamt 17 Instanzen des MERCURY-4 bemüht, alle Klänge entstammen also wieder einmal ausschließlich dem vorliegenden Testkandidaten.

Klangbeispiel CHERRY AUDIO MERCURY-4

Eine Kompression hat hierbei ebenso wenig stattgefunden wie eine Klangregelung, bisweilen kam lediglich ein bisschen Lautstärke-Automation für Fade-Ins und -Outs zum Einsatz.


Fazit:

Mal wieder eine ordentliche Arbeit, die CHERRY AUDIO hier abgeliefert hat. Ob der MERCURY-4 einen über 40 Jahre alten JUPITER-4 mit allen seinen klanglichen Eigenheiten bis ins winzigste Detail nun wirklich vollständig zu ersetzen vermag, sei hier einmal dahingestellt.

Eingefleischte Besitzer des Originals werden dies wohl sowieso vehement abstreiten, allen anderen ist dies vermutlich eher egal, sie freuen sich über einen einfach zu bedienenden und grundsätzlich gut klingenden Synthesizer mit einem kräftigen Analog-Touch, welcher zudem noch durch das sehr „retro“ ertönende Tape Echo ansprechend verfeinert wird.

Der gegenüber dem Original deutlich erweiterte Regelbereich der LFO-Geschwindigkeit sowohl nach unten als auch nach oben ermöglicht sogar ein paar Experimente, die mit dem JUPITER-4 gar nicht möglich sind. Und mit Einführung der Oversampling-Funktion lässt sich der Grundklang des MERCURY-4 noch einmal qualitativ aufwerten, so dass er etwas „stofflicher“ erscheint.

CHERRY AUDIO bietet den MERCURY-4 sowohl über seinen eigenen Onlineshop als auch über den einschlägigen Fachhandel an. Als Einführungspreis werden 39- US-Dollar (das entspricht etwa 33,- Euro) fällig, während Cherry AUDIO als regulären Listenpreis 59,- US-Dollar (das sind zur Zeit keine 50,- Euro) angibt. Ob und wann Letzterer tatsächlich einmal ausgerufen werden wird, ist allerdings die Frage, so lehrt uns die Preisgestaltung früherer Plugins von CHERRY AUDIO…

Wer also gerade mal wieder von einem akuten G.A.S. befallen wird, der findet im MERCURY-4 eine gute Möglichkeit zur Suchtbefriedigung, noch dazu ohne schädliche Nebenwirkungen für das Portemonnaie.

Wie schon erwähnt, lässt sich der MERCURY-4 vor einem Kauf 30 Tage lang mit nur geringen Einschränkungen testen, das ist überaus fair und hilft dabei, sich ein genaues Bild über die Möglichkeiten des Plugins zu machen.


Positives:
+ guter Grundklang
+ leicht erlernbare Bedienung
+ Oversampling-Funktion zur Klangverbesserung
+ Arpeggiator
+ gut klingende Effekt-Sektion inklusive Tape Echo
+ umfangreiche MIDI-Learn-Sektion
+ CPU-freundlich (bei einfachem Oversampling)
+ günstiger Verkaufspreis

Negatives:
– keine Offline-Aktivierung bzw. -Installation möglich
– kein gleichzeitiger Arpeggiator- und Unisono-Betrieb (entspricht dem JUPITER-4)


Produktwebseite: https://cherryaudio.com/instruments/mercury-4