Imagine von Expressive E

Die französische Firma Expressive E begann mit dem ungewöhnlichen MIDI (und CV- in der großen Ausgabe) Controller Touché, der vom Konzept her nach wie vor einzigartig ist. Damit ist es möglich monophone Melodielinien und Akkorde als Ganzes sehr expressiv zu modulieren. Es ist jedoch kein MPE-Controller, der jede Note in einem Akkord einzeln beeinflusst. Nach einiger Zeit gesellten sich darauf abgestimmte Software-Instrumente dazu. Zunächst die Archos-Serie mit klassischen Streichinstrumenten, die ich in den Hörbeispielen beeindruckend fand. Diese Instrumente waren schon nicht Sample-basiert, sondern physikalisch modelliert, werden also in Echtzeit anhand eines mathematischen Modells des Instruments errechnet. 

Imagine vin Expressive E
Imagine von Expressive E

Der Synth Noisy von Expressive E basiert auch auf von Rauschen angeregten Resonatoren, die die Schwingungen von Saiten simulieren. Jedoch verpackt in eine subtraktive Synth-Engine. 

Dieses Prinzip ist in der Audio-Softwarelandschaft immer noch selten, virtuelle Saiten- und Schlaginstrumente bieten im kommerziellen Bereich hauptsächlich AudioModeling, Sugar Bytes ansatzweise mit Guitarist und Applied Acoustic Instruments vor allem mit dem schon legendären String Studio an. Modartt ist mit Pianoteq hauptsächlich auf Pianos spezialisiert, führt aber seit längerem auch E-Pianos und Schlaginstrumente auf dieser Basis im Sortiment. 

Imagine ist nun interessanterweise eine Kooperation zwischen Expressive E und Applied Acoustic Instruments (AAS) und lässt sofort an deren Instrument Chromaphone denken, das auch Exiter mit gekoppelten Resonator-Modellen von Schlaginstrumenten und Saiten verbindet.
Wo ist nun also der Unterschied? 

Die Oberfläche sieht natürlich völlig anders aus, dunkler, schlichter, mit weniger Drehreglern. Das Grundprinzip der Klangerzeugung ist jedoch genau dasselbe und klingt auch gleich, dieses bestimmte Timbre von Chromaphone ist sofort erkennbar. 

Bei genauerem Vergleich fehlen einige Resonator Modelle, Plate ist nicht zu finden, die Tubes sind nicht in offen und geschlossen unterteilt, es gibt keine Marimba-Version der Bars. Das ist also schon mal auf das wesentliche reduziert. Es fehlen auch noch einige Detail-Einstellungen, die man in Chromaphone 3 an den Exitern und Resonatoren vornehmen kann wie Keyfollowing, Velocity in der Pitch-Envelope, dass man Noise zum Mallet dazu nehmen oder die Resonatoren auch entkoppeln kann. Ein Resonator allein ist auch nicht möglich, sie treten nur in Paaren auf. Aber die wichtigen Parameter, die im wesentlichen den Klang beeinflussen sind in einer anderen Anordnung alle vorhanden. Imagine erscheint mir dadurch auf jeden Fall einfacher bedienbar ohne dass wirklich wichtige Funktionalität verloren geht. 

Exiter und Resonatoren
Exiter und Resonatoren

Auch wenn die zwei Exiter-Typen von Chromaphone auf zwei getrennte Typen Mallet und Noise aufgeteilt sind und dadurch detailliertere Mischungen nicht möglich sind kommt noch ein dritter Typ dazu, nämlich Sequencer. So recht weiss ich nicht, was ich davon halten soll, der Exiter-Typ scheint im Hintergrund Mallet zu sein, man kann mit zwei Timbre-Reglern den Klang verändern, die Sequenzen von den zwei Sequenzern zwischen denen man per Button umschalten kann  sind bis zu 16 Schritte lang. Die Sequenz funktioniert wie ein Gate auf einem Arpeggio, man kann also einzelne Gates stumm schalten, in denen das Arpeggio nicht gespielt wird. Der Arpeggiator verfügt über die üblichen Spielweisen up, down up/down und das Besondere ist eigentlich nur, dass man zwischen verschieden eingestellten und gegateten Arpeggiatoren hin und her schalten kann. Vermutlich erschließt sich nur in der Praxis, ob man etwas ähnliches oder auch komplexeres nicht alternativ mit einem guten externen Arpeggiator erreichen kann. Dann aber mit zwei Instanzen von Imagine, weil man nicht nur einen Layer mit einem externen Arpeggiator ansteuern kann und den anderen nicht. 

Der Sequencer
Der Sequencer

Das Preset-System von Imagine teilt sich in Main-Presets für das gesamte Plugin und seinen aktuellen Zustand auf, in Instrument-Presets, mit denen man die zwei Instrumenten-Layer schnell zu neuen Sounds kombinieren kann und Presets für die MSEGs auf. 

Die MSGEs (Multi Stage Envelope Generators) sind ein wichtiger Punkt, in dem sich Imagine und Chromaphone unterscheiden – so etwas hat Chromaphone nämlich nicht. Die MSGEs hängen mit den vier Makro-Knobs zusammen, denen man fast jeden Parameter von Imagine zuweisen und seinen Wirkungsbereich einstellen kann. Jeder Makro-Knob hat eine eigene Multipunkt-Hüllkurve, kann aber auch manuell im Plugin oder extern per Automation aus der DAW gesteuert werden.
Neben den vielfältigen Presets für die MSGEs ist es möglich diese aus vorgegebenen Kurvenelementen selbst zusammenzustellen, ähnlich wie in Massive. 

Der MSEG Editor
Der MSEG Editor

Insgesamt ergibt das ein sehr mächtiges Modulationssystem, das natürlich von einem expressiven Controller wie dem Touché besonders profitiert. MPE-Controller wie der Roli Light Block wären vielleicht auch möglich, wobei man jeder Geste einen Makro Knob zuweisen müsste. Theoretisch – ob das so klappt ist ungewiss, Imagine ist jedenfalls kein MPE-fähiges Instrument. Schade eigentlich, aber Expressive E verfolgt mit Touché ein anderes Konzept,  während deren fortgeschrittener Keyboard-Controller Osmose aber eigentlich polyphones MPE beherrscht. 

Hinter der Klangerzeugung von Imagine ist eine umfassende Effektabteilung angehängt in die beide Layer hinein geroutet werden, man kann also nicht jedem Layer eigene Efffekte zuweisen. Eine Besonderheit ist der Frequency-Shifter, weil er als Pitchbend -Ersatz dient, da direktes Pitchbending auf physikalisch modellierte Klangerzeugung eine hohe Prozessorlast erzeugen würde. Dem Vibrato/Frequency Shifter ist ein System aus zwei FX-Einheiten mit jeweils zwei Makro-Knobs nachgeschaltet, in die man Tremolo, Filter, Autopan, Phaser, Distortion, Noisyfier, Ring Modulator laden kann. Danach gibt es noch Tilt EQ, Kompressor, Delay und Reverb.

Braucht man Imagine, wenn man Chromaphone 3 schon hat? Grundsätzlich von den damit möglichen Sounds nicht, denn die beherrscht auch Chromaphone – vielleicht abgesehen von denen, die von den MSGEs profitieren. Hier würde ich auch für Nutzer von Chromaphone einen Vorteil sehen, wobei Chromaphone auch sehr vielseitige Modulationsmöglichkeiten bietet, die man intern mit LFOs und von aussen über entsprechende Modulationskurven steuern kann. Den internen Sequencer/Arpeggiator von Imagine hat man in Chromaphone auch nicht zur Verfügung.
Wenn man unglücklicherweise das vielseitigste Instrument aus dem Arsenal von AAS nicht besitzt ist Imagine eine günstige Alternative, der Originalpreis liegt 60 € unter dem von Chromaphone und ist im Moment noch über Plugin Boutique für einen Einführungspreis von 85 € zu bekommen, also nochmal 50 günstiger (Wobei man Chromaphone mindestens ein- bis zwei Mal im Jahr auch für rund 100 € bekommt). Man hat dann gegenüber Chromaphone einige Resonator-Variationen und Detaileinstellungen nicht, die ich aber nicht für sehr wichtig halte, gewinnt dafür aber ein einfacheres Bedienkonzept. Was natürlich auch nicht zugänglich ist sind die teils sehr guten zusätzlich zu erwerbenden Preset-Packs von Chromaphone.
Vor allem für tonales Schlagwerk aller Art, aber teils auch für Saitenklänge und alle Mischungen davon ist Imagine sicher ein sehr interessantes, ausdrucksstarkes und flexibles Instrument. 

Imagine auf der Website von Expressive E
https://www.expressivee.com/63-imagine


Imagine aktuell im Angebot bei Plugin Boutique
https://www.pluginboutique.com/product/1-Instruments/4-Synth/8257-Imagine

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*