Chris Hein Solo Violin Testbericht

Der Name des Sound Designers und Filmmusik-Produzenten Chris Hein steht für eine lange zurückreichende Kette hochwertig gesampleter virtueller Instrumente, von denen viele von Best Service heraus gebracht worden sind. Ein besonderer Schwerpunkt von ihm sind klassische Orchester-Instrumente, wie die neueren Chris Hein Horns, aber auch die ältere Chris Hein Guitar Collection ist weithin bekannt. Mit dieser gewaltigen dreissig Jahre langen Erfahrung im aufnehmen, editieren und programmieren von akustischen Instrumenten nahm er sich nun mit der Solovioline die Königin des klassischen Orchesters vor.

Die Ausdruckskraft, Variabilität und Vielseitigkeit dieses Instruments überzeugend einzufangen ist eine gewaltige Aufgabe, der sich schon andere Sample-Schmieden erfolgreich gestellt haben. In den Sinn kommen hier z. B. die Friedlander Violin von Embertone und Adagio Violins von 8Dio. Was ist also das Besondere an dieser neuen Annäherung an das Thema? Das zu untersuchen ist die Aufgabe dieses Testberichts.

Das Instrument startet zunächst mal mit einer harmlos aussehenden Play-Oberfläche, kompakt und keinen bzw. über die Tab-Buttons erreichbaren minimalen Kontrollen der wichtigsten dynamischen Parameter, zusätzlich einstellbar sind verschiedene Reverb-Presets. Wobei hier interessanterweise zwischen Convolution Reverbs des Violinen-Körpers selbst und von den üblichen großen und kleinen Räumen unterschieden wird.


Chris_Hein_Violin_Basics_Play

Chris_Hein_Violin_Basics_Control

Chris_Hein_Violin_Basics_Room

 

Spielwiese

Öffnet man aber über die Tabs ganz unten in dem GUI die Edit-Seiten wird man förmlich erschlagen von Kontrollmöglichkeiten und Einstellungen. Man ahnt, dass hier noch so ziemlich das letzte Detail, wie die virtuelle Geige spielen soll eingestellt werden kann. Da kann man sich nur fragen: was ist wesentlich (für mich in dem Moment) und wie ist das Ganze strukturiert um all diese Möglichkeiten auch Handhabbar zu machen.

Chris_Hein_Violin_Articulation_B

Spielt man erst mal los, stellt man gleich fest, dass auf das Mod Wheel das Vibrato gemappt ist. Ich erspähte eine Tab, der sich Vibrato nannte und fand dort zwei Modi, ein mal LFO Vibrato, das voreingestellt war und Auto Vibrato, bei dem man Verlaufs-Kurven über Speed, Volumen usw. voreinstellen kann. Beides hörte sich nicht schlecht an, wobei man erst mal bei LFO Vibrato über das Mod Wheel nur die Intensität geregelt bekommt und die Geschwindigkeit selbst einem Controller zuweisen muss.

Wobei es ein NKI-Instrumenten-Preset gibt, bei dem alles schon auf X verschiedene Controller-Nummern gemappt ist und man sich im Prinzip nur noch die raus picken muss, die man aktuell braucht.

Die Lautstärke der einzelnen Töne wird aus der Keyboard-Velocity gewonnen, ist also erst mal nicht dynamisch während ein Ton erklingt. Aber es gibt einen Modus, der über die Artikulations-Einstellungen zu erreichen ist, bei dem die Volumen-Kontrolle von der Anschlaggeschwindigkeit der Tasten auf die MIDI-CC Nummer 11 für das Expression-Pedal umgeswitcht wird. Wenn man also über ein Keyboard mit einem Expression-Eingang verfügt kann man die Lautstärke über das Pedal regeln und das Vibrato über das Mod Wheel. Da die CC-Nummern nicht fest vergeben sind lässt sich das aber auch so umkonfigurieren, dass das Volumen auf dem Mod Wheel liegt und das Vibrato auf einem Drehregler oder Slider auf dem Keyboard. Der Modus nennt sich X-Fade und aus dem Handbuch erschließt sich, dass hier echte unterschiedlich laut gespielte/aufgenommene Sample-Layer dynamisch durchfahren werden, die in der Phase angeglichen sind. Was nun bestimmt nicht einfach zu produzieren ist. Es sind bis zu acht verschiedene Lautstärke-Stufen pro Ton und es wird in der Artikulations-Oberfläche immer angezeigt, welche aktuell gespielt wird.

Es gibt auch noch einen Modus Keyboard & X-Fade, bei dem die Anfangslautstärke durch das Keyboard festgelegt wird und der Expression-CC-Wert dann ab diesem Ausgangswert dazu addiert oder abgezogen wird, aber nicht relativ, sondern absolut, der Regler muss erst mal zu diesem Level hin gedreht werden. Einen Auto-X-Fade Modus, ähnlich wie beim Vibrato mit vorher festgelegten Verlaufskurven gibt es auch noch.

Insgesamt sind in diese Bibliothek mehr als 10.000 Samples mit einem Volumen von 4 Gigabyte gepackt, was die Grundlage für eine sehr detaillierte Klanggestaltung liefert.

Verschiedene Artikulationen in einem Stück von Brahms, bei denen die Dynamik über Keyboard-Velocity gesteuert wird, also die einfachste Methode. Ein leichtes Vibrato in einigen langen Noten kommt nur von der Artikulation Dynamic Expression Long selbst.

 

Derselbe Ausschnitt eines Stückes von Brahms, die kurzen Noten sind gleich, aber bei den längeren wird das Volumen per X-Fade moduliert und Vibrato-Stärke und Geschwindigkeit verändert, die Artikulation hierbei ist immer Sustain, das ohne Vibrato aufgenommen wurde.

 

Diese MIDI-Datei zum Vergleich mit der Friedlander Violin von Embertone gespielt, siehe dazu Bemerkungen in dem Fazit von Klaus Feurich ganz am unten.

 

Spielweisen

Was man zunächst auch gleich ausprobiert, bei einem solchen Instrument sind die verschiedenen Artikulationen. Und davon gibt es… wieviele eigentlich? Also es sind erst mal 21 Key-Switches von A-1 ausgehend definiert, zusätzlich drüber noch fünf Hot-Keys, die temporär Verzierungen triggern können, also insgesamt 26 Tasten, die hier belegt sind. Aber es gibt zur Auswahl, um sie auf die Tasten zu legen noch mehr Artikulationen und mehr Verzierungen, also eine recht beeindruckende Menge an Spielvariationen, die da aufgenommen wurde. Laut Text auf der Website sind es insgesamt 38, OK, darunter viele Variationen kurzer Noten aber es gibt einige eher spezielle Artikulationen, wie Accent Vibrato, Lyrical Vibrato, Riccochet, Doit neben etlichen Variationen von Shorts oder Spiccato. Man kann all diese Artikulationen auch einem CC-Wert zuweisen und dann mit einem Regler umschalten, statt mit Key-Switches, was mir so auch noch nicht begegnet ist.

Das Mapping aller Keyswitches im Überblick
Das Mapping aller Keyswitches im Überblick

 

Die Artikulations-Auswahl für den aktuell editierten Keyswitch
Die Artikulations-Auswahl für den aktuell editierten Keyswitch

Etwas irritierend war zunächst, dass jedes mal, wenn man im Host ein MIDI-File von neuem abspielte die Artikulation auf den Key-Switch zurück sprang, der Anfangs eingestellt war, auch wenn man mittlerweile bei einem ganz anderen war. Das ließ sich auch so nicht ändern, denn jeder andere Key-Switch, ob die Piano-Roll nun lief oder nicht setzte keine neue Ausgangs-Artikulation, sondern wurde ignoriert. Erst, als ich das Umschalten der Key-Switches auf einen Regler am MIDI-Keyboard legte galt ab da der neue Wert, der bevor man die Piano-Roll im Host startete eingestellt war. Hatte man während des Abspielens andere verwendet sprang es beim erneuten Start zwar auch wieder auf den Ausgangswert zurück, den man jetzt aber zumindest neu festlegen konnte.

Die gesamte Edit-Seite zu Key-Switches enthält Werte, die PRO Key-Switch eingestellt werden können, eine Ausnahme stellt nur die Blending-Abteilung dar, in der der Modus und die Einstellungen für Tremolo und die Trills Major und Minor festgelegt werden, diese gelten immer Instrument-übergreifend für alle Key-Switches. Ansonsten können alle Einstellungen für einen Key-Switch kopiert und bei einem anderen wieder eingefügt werden, es lassen sich also leicht Variationen erstellen, z. B. mal ohne, mal mit Legato.

Bei den Hot-Keys erscheinen in der Liste neben Repeat Last Note für schnelle Repetitionen Trills in Halbton und Ganzton-Schritten, Falls und Slides und sogar ein Ponticello-Tremolo als Verzierungen, die man damit einstreuen kann.

Bei der Vielzahl an Artikulationen habe ich die kurzen Demonstrationen auf zwei Videos verteilt:


Legato ist ja bei einem Streichinstrument nicht ganz unwichtig. Auch hier gibt es wieder zwei Modi. Einen, bei dem tatsächlich jeder Legato-Übergang in einer kurzen und einer langen Version eingespielt wurde und einen künstlichen, der separate Töne überblendet, aber jede Menge Einstellmöglichkeiten für die Fade-Ins und -Outs bietet. Selbst wenn der Legato-Mode aktiviert ist können dennoch Chords gespielt werden, wenn die Noten des Akkords innerhalb einer einstellbaren Zeitspanne gedrückt werden.

An Übergangsmöglichkeiten in der Tonhöhe wird auch noch eine Glide-Option geboten, die eingespielte Notenläufe wiedergibt, die auch noch einstellbar sind, ob sie chromatisch sind oder die Noten in einer Dur- / Moll- / oder Pentatonischen Tonleiter gespielt werden und um dem noch die Krone aufzusetzen kann man sogar noch einstellen, mit wieviel Slur der Lauf gespielt und damit etwas verwaschen wird. Ach ja und es ist sogar noch möglich auszuwählen, auf welcher Artikulation der Lauf dann endet!

Ein völlig neues Feature ist „Note-Head“, dabei wurden Anfänge und Enden von kurzen Tönen aufgenommen, davon gibt es zwölf zunehmend kurze Variationen und die Auswahl, welcher Note-Head erklingt kann ebenfalls wieder auf einen Regler gelegt werden. Mit einer Drehung am Regler erklingt nun bei der nächsten Note eine der kurzen Variationen, so oft, bis man wieder ganz zum Anfang auf das Original zurück gedreht hat. Im Stack-Modus, wenn also die Original-Artikulation am Anfang und Ende überblendet und nicht komplett ersetzt wird, kann man in einem Extra-Editor-Panel ganz genau und detailliert die Fade-In und -Out Zeiten einstellen. Das Ganze ist insofern etwas Gewöhnungsbedürftig, weil ob ein langer oder kurzer Ton ausgelöst wird davon abhängig ist ob eine Legato-Verbindung zwischen den Noten gespielt wird oder nicht. Dennoch: wenn man seine Spielweise daran anpasst kann man nur durch den Wechsel gebundener und ungebundener Noten und bei Bedarf einem Dreh an dem Auswahlregler für die Note Heads zwischen langen und kurzen Artikulationen ganz organisch wechseln.

Blending blendet in die aktuelle Artikulation wahlweise Tremolo oder Trills in Moll oder Dur ein. Oder alles gleichzeitig (!) – was zu einem recht mächtigen, wenn auch etwas seltsamen Klang führen kann, vor allem im Zusammenspiel mit der Ensemble-Funktion.
Ergänzt wird als globaler Modus noch der Ensemble Maker, der bis zu fünf Spieler im Panorama verteilt und der die einzelnen Stimmen etwas zueinander verstimmt, im Prinzip ein Unison -Effekt.

Das ist erst mal das, was an Spielhilfen und Variationsmöglichkeiten direkt wahrnehmbar ist. Erweitert wird das aber unter der Haube durch Einstellmöglichkeiten Note Head und wie sich das Legato verhält.
Chris_Hein_Violin_Legato_Edit
Chris_Hein_Violin_Note_Head_Edit

Zusammen mit den Einstell-Möglichkeiten in dem Extra-Tab für das Vibrato hat man schon einen sehr verfeinerten Einfluss auf das Geschehen. In dieser Tiefe habe ich das noch bei keinem Instrument für Kontakt gesehen.

 

Spielereien

Hinter dem Tab Settings verbergen sich relativ gewöhnliche Grundeinstellungen, wie die Ansprache des MIDI-Keyboards, Pitchbend Range und generelle Hüllkurve. Darüber hinaus gibt es noch eine Einstellung für Release-Samples, wie oft und wie laut sie erklingen sollen und ein Schalter für Round Robin zu dem es weiters keine Info gibt. so bleibt im Ungewissen, bei welchen Artikulationen Alternativsamples eingewechselt werden und wie viele davon.
Interessant ist noch der Micro-Tuner, der die Noten in der Skala um bis zu einem Halbton verstimmen kann und es gibt ein Dutzend Presets dazu, die alte Stimmungen nachahmen.

Chris_Hein_Violin_Settings

Der DSP/FX Button bringt ein Panel mit Effekten zum Vorschein. Zunächst ein Reverb, das nicht dasselbe darstellt, wie die Convolution-Reverbs auf dem kompakten Play-GUI, also irgendwie doppelt gemoppelt. Ein Delay und einen Chorus. Phaser und Flanger gehören nicht so unbedingt zum üblichen Repertoire eines klassischen akustischen Streichinstruments. Im Zusammenhang mit den ungewöhnlicheren Spielweisen des Instruments lassen sich damit jedoch auch Effekt-Klänge erzeugen. Ein Master-Equalizer macht Sinn, ein Kompressor auch und ein Filter wird man wiederum seltener in dem Zusammenhang brauchen.
Chris_Hein_Violin_FX

 

Fazit

Im Vergleich zu allen erschwinglichen orchestralen Streicher-Sektionen ist die Artikulationsvielfalt von Chris Hein Solo Violin natürlich extrem hoch, aber auch zu anderen Solo-Violinen verhält es sich ähnlich. Das Keyswitch-System ist angesichts der komplexen Vorgänge, die da gesteuert werden überragend einfach einzurichten – aber man muss sich Projektbezogen damit auseinandersetzen, um aus diesem Instrument das Maximum heraus zu holen.

Es toppt das für mich bisher anspruchsvollste Kontakt-Instrument in dem Bereich, Emotional Cello, was die Tiefe der Einstellmöglichkeiten angeht noch einmal deutlich. Wobei man sagen muss, dass man mit Emotional Cello oder den Instrumenten von Embertone eher mal einfach losspielen kann und zu guten Ergebnissen kommt, was man da noch durch Feineinstellungen erreichen kann geht nicht so weit, wie bei der Chris Hein Solo Violin. Hier lohnt es sich vorher genauer zu überlegen, welche Stimmung oder welche Abfolge von Artikulationen man anstrebt und die Keyswitches und den Rest der Engine entsprechend einzurichten.

Chris Hein Solo Violin ist ein Werkzeug für Profis und stellt die Grenze dessen dar, was im Moment mit virtuellen Instrumenten erreichbar ist. Ohne tiefer gehende Voreinstellung des Instruments erreicht man spontan ungefähr das gleiche Niveau wie mit anderen vergleichbaren Streichinstrument-Bibliotheken. Wenn man seine Möglichkeiten voll ausschöpfen will braucht man eine Vorstellung davon, über welche Ausdrucksvariationen eine echte Violine verfügt und wie sie gespielt wird. Und dann sollte man noch in der Lage sein, das mit Hilfe der vielen Feineinstellungen nachzuvollziehen… Die Demos auf der Produkt-Website zeigen, wie unglaublich nahe man damit einer ununterscheidbaren, differenzierten und ausdrucksstarken Violinen-Performance kommen kann, aber ohne tiefer gehende Erfahrung im Umgang und dem Spiel virtueller Instrumente wird man das nicht erreichen.

 

Kurzfazit Klaus Feurich:

„Im direkten Vergleich zwischen der Chris Hein Solovioline und der Friedlander Violine von Embertone fiel mir sofort auf, dass die Chris Hein im ersten Moment gefälliger und runder im Klang wirkt. Dafür macht die Friedlander von Embertone einen etwas ehrlicheren, rauheren Klang, der noch nicht nachbearbeitet klingt. Und wie der Kollege Federspiel schon schrieb: während die Friedlander ein wenig mehr zum direkten Spiel einlädt, so bedarf es bei der Violine von Chris Hein schon einer etwas genaueren Planung, um die mittels Keyswitch geschalteten vielfältigen Artikulationen auch passend um- bzw. einzusetzen. Vom Umfang her kommt die Friedlander da auch defnitiv nicht mit.
Mir persönlich gefällt aber das Vibrato von der Friedlander wesentlich besser und ist brauchbarer, während das von der Chris Hein doch sehr schnell recht künstlich wirkt. Ungeschlagen für mich bleibt definitiv jedoch der Einsatz des TouchOSC bei der Friedlander. Allerdings steht dem die fantastische Artikulation der „Dynamic Expression Long“, die eben auch in das typische Vibrato eines lang gehaltenen Tones fällt, nicht in viel nach.
Benötigt man nicht jede machbare Artikulation und möchte eher auch einmal spontan einen Violinenpart einspielen, so ist für mich die Friedlander im Zusammenhang mit TouchOSC eine sehr gute Library, auch, da diese nur ca. zwei Drittel der Chris Hein Library kostet. Dagegen ist die Chris Hein Library für den Komponisten, der sehr geplant vorgeht und die Vielfalt an Artikulationen benötigt, sicher erste Wahl.“

+ sehr flexibles Keyswitch-System
+ Innovatives Note Head Feature
+ Beeinflussung der Dynamik an die individuelle Arbeitsweise anpassbar
+ viele Artikulationen
+ Phasenangepasste dynamische Layer
+ sehr tief gehende Einstellmöglichkeiten
+ für das gebotene ein sehr gutes Preis/Leistungs-Verhältnis

Produktwebsite: http://www.bestservice.de/chris_hein_solo_violin.html

Ein Testbericht von Stefan Federspiel

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