Piano V ist ein physikalisch modelliertes Instrument und arbeitet nicht, wie normalerweise in diesem Bereich akustischer Pianos mit Samples real aufgenommener Klimperkisten. Das hat den Vorteil, dass das Instrument in einem weiteren Rahmen in seinen Eigenschaften anpassbar ist und den Nachteil, dass das mathematische Modell eines Klaviers, mit dem der Ton erzeugt wird, erst mal so weit verfeinert werden muss, dass es nach einem Klavier klingt und dies so realistisch, wie es die Programmierer eben hin bekommen.
Ich vermute, dass zwischen dem detaillierten Nachprogrammieren des Verhaltens eines elektronischen Schwingkreises und dem einer Piano-Saite schon ein Unterschied besteht und dass Otto-Normalhörer etwas empfindlicher wahrnimmt, wenn da etwas nicht so ganz stimmig ist.
Bekannt für physikalisch modellierte Pianos ist die Firma Modartt, die das schon seit vielen Jahren mit dem fortschreitend verbesserten Programm Pianoteq betreibt. Sie leiten von derselben Engine inzwischen auch allerlei andere akustische Instrumente ab, vom Cembalo über Vibrafon bis hin zu E-Pianos. Ansonsten gibt es von anderen Firmen noch einige hybride Pianos, die teils auf Samples und teils auf Physikalischer Modellierung beruhen. Hier sind vor allem Sound Magic und TruePianos zu nennen.
Installation
Die Installation im Rahmen der Collection V verlief an sich problemlos, was ich jedoch ärgerlich fand, ist der Umstand, dass man zwar einen individuellen Installations-Standort auswählen kann, in dem Fall nahm ich mein Sample-Laufwerk, aber dort nur die Deinstallationsskripte landen. Die Engines der Collection V mit insgesamt über 6 Gigabyte landen unter Windows zwangsweise auf C in Programme. Was ziemlich blöde ist, weil, wenn man wie ich das System auf einer SSD installiert hat, auf der der Platz immer sehr knapp ist, will man das eigentlich vermeiden.
Einstellungen
Die Einstellmöglichkeiten von Piano V im Vergleich zur Pro Version von Pianoteq sind nicht so umfangreich. Hier beschränkt sich das bei den „Action“ Settings auf die generelle Stimmung abseits von 440 Hz als Ausgangstonhöhe, Unison, das die Saiten untereinander verstimmt und bei höheren Werten einen Honky-Tonk Sound hervorbringt und Stretch, welches die Oktavabstände vergrößert, was bei Pianos in Maßen eingesetzt wird, damit es aufgrund seiner Obertonstruktur für das menschliche Ohr korrekt gestimmt klingt.
Bei hohen Werten, vor allem im Zusammenhang mit einem erhöhten Unison führt es dann zu einem völlig verstimmten Instrument. Die physikalischen Grundeigenschaften werden durch die Regler für Dynamik gesteuert, also wie groß die Lautstärkenunterschiede werden können, durch die Hammer-Härte, die von ganz soft abgedämpft bis zu einem harten obertonreichen Anschlag reicht. Die Position des Hammers tritt hier in eine Wechselwirkung und beeinflusst den Klang mit, wenn auch nicht so stark.
Einen größeren Effekt hat noch der Regler für das Soundboard, also den Resonanzboden, der den Ausklang beeinflusst, von ganz kurz bis zu lang anhaltenden Tönen. In Extremeinstellungen im Zusammenwirken mit der Hammer-Härte erreicht man damit eine fast Marimba-artige Klangfarbe. Mit diesen Reglern sind deutlich weiter gehende Verbiegungen des Grundklangs möglich, als mit einem Sample-basierten Instrument, von den Raffinessen von Pianoteq Pro ist man jedoch noch ein gutes Stück entfernt.
Abgesehen von diesen Einstellungen beinhaltet Piano V eine ganze Reihe von Grundmodellen wie Classical Upright, Pop Upright oder Jazz Upright, Classical Grand, Intimate Grand, Pop Grand, welche jeweils die eine oder andere Basis bereitstellen, an der herumgeschraubt werden kann.
Bei den normalen Modellen sind das eher Nuancen, jedoch hat Arturia auch einige exotische Modelle mit hineingepackt, die wirklich anders klingen, wie zum Beispiel das Glass Grand und das Metal Grand. Wie der Name schon nahelegt, geht der Glass Grand eher in eine kalte, obertonreiche Richtung, während der Metal Grand über ein unregelmäßiges metallisch klingendes Obertonspektrum verfügt.
Die Grundmodelle werden in den verschiedenen Presets dann weiter durch Reglereinstellungen modifiziert und mit Hallräumen, Mikrofonpositionen und einem Equalizer kombiniert.
Klang, Klang und nochmals Klang
Wichtig ist neben den Einstellmöglichkeiten vor allem, wie das Instrument im Vergleich zu anderen Pianos klingt. Deshalb habe ich eine Reihe von Beispielen erstellt, mit denen man direkt hören kann, wie es sich in dem Umfeld schlägt.
Begonnen habe ich mit den Uprights, hier standen das The Gentleman von Native-Instruments und das normale Upright aus der EZKeys-Linie von Toontrack als Vergleich zur Verfügung.
The Gentleman ist ein eher sanftes, sehr rundes Instrument, das EZKeys Piano klingt kräftig und knackig, damit flankieren zwei Extreme des Spektrums das Piano V Upright.
Klangbeispiele ARTURIA Piano V versus Native Instruments und Toontrack
Zunächst das Piano V Upright Classic mit einem Lauf über alle Oktaven
The Gentleman mit einem Lauf.
Und schließlich das EZKeys Upright
Noch mal die mittleren Oktaven C3 und C4 direkt hintereinander. Zuerst The Gentleman, dann Piano V, dann EZKeys
Was man hier schon mal sagen kann: Das ARTURIA Piano V klingt nach Klavier – was nicht so ganz selbstverständlich ist, weil es sicherlich nicht einfach war, dies zu erreichen. Ich behaupte mal, ein unbefangener Durchschnittshörer wird das nicht hinterfragen und mit dem Finger darauf zeigen, dass das kein echtes Piano ist, sondern ein in Echtzeit errechneter Klang aus einem mathematischen Modell. Ich erinnere mich noch, als Pianoteq auf den Markt kam, war eine leicht wahrnehmbare Künstlichkeit durchaus ein Kritikpunkt.
Ein professioneller Pianist oder ein Toningenieur im klassischen Bereich wird wahrscheinlich im Blindtest das unechte Piano erkennen. Ganz sicher bin ich mir da aber nicht. Was auffällt ist, das die ganz unteren Lagen des Piano V definierter sind, als die der gesampleten Kollegen, die mittlere Lage wirkt auf mich zurückhaltender und glatter und die obersten Oktaven mit dem Hammergeräusch fast schon übertrieben „realistisch“. Insgesamt wirken die aufgenommenen, echten Klaviere aber auf mich lebendiger und wärmer, doch da kann ich aufgrund des Vorwissens auch einfach voreingenommen sein.
Das Gleiche nun mit den Grand Pianos. Hier bildet der Steinway 1928 von 8Dio ein gutes Gegenstück zum Gentleman mit einem warmen Grundklang, das Gand Piano von EZKeys hat entsprechend zum Upright einen voluminösen, kräftigen Charakter. Das Pianoteq 5 Grand D4 kommt hier hinzu, es bietet einen dunkleren, akzentuierten Klang, der zwischen Piano V und dem EZKeys Grand liegt.
Der Lauf von unten nach oben mit dem Piano V Concert Grand
Pianoteq 5 Grand D4
8Dio Steinway 1928
Das Grand von EZKeys
Der Lauf von jeweils C3 bis H4 in der Reihenfolge 8Dio, Piano V, Pianoteq 5 und EZKeys.
Hier bietet sich ungefähr das gleiche Bild, wie bei den Uprights. Wobei ich die Unterschiede vor allem in den mittleren Lagen noch eher geringer finde.
Im Vergleich zum EZKeys Upright und Grand ist das Piano V was die Kraft und den knackigen Klang des Anschlags anbelangt zwischen dem NI Gentleman und den EZKeys Instrumenten angesiedelt. Etwas anders sieht das bei den Pop-Presets, bzw. Modellen aus, hier kommt das Piano V beinahe an die EZKeys Instrumente ran.
Genauer betrachtet scheint das Pop-Upright-Modell nur etwas heller gestimmt zu sein und das Preset hat die Hammer-Härte ganz aufgedreht. Macht man das bei dem klassischen Upright-Modell auch ist sogar das in den oberen Lagen noch voluminöser, allerdings etwas dunkler und weicher in den unteren Lagen. Also kommt es auch hier wieder sehr auf den Einsatzzweck und Kontext an.
Hier Piano V Uprights, ein mal das normale, klassische, dann mit aufgedrehter Hammer Hardness, dann das Pop-Upright. Die Soundboard Resonanz und die Hall-Einstellungen sind angeglichen.
Zuerst das EZKeys Upright, dann das Piano V Upright mit aufgedrehter Hammer-Hardness.
Zuerst EZKeys Grand, dann Piano V Pop Grand, dann das klassische Grand mit aufgedrehter Hammer-Hardness
Je nach Genre klingen die verschiedenen Pianos wieder anders, mal passt der Charakter des einen besser, mal das andere. Auch die Spielweise und die Dynamik unterschiedlicher Kompositionen bieten einen anderen Blickwinkel auf das jeweilige Instrument.
Ganz klassisch/romantisch ein Ausschnitt von Opus 7 von Chopin.
Die Uprights in der Reihenfolge Gentleman, Piano V und EZKeys:
ChopinOP7_Uprights.mp3
Um das noch besser und direkter vergleichbar zu machen teilte ich den Ausschnitt in noch kürzere Stücke auf und hängte diese in der gleichen Reihenfolge wie oben hintereinander, so, dass immer eine Phrase hintereinander mit den verschiedenen Instrumenten erklingt.
Dasselbe mit den Grands in der Reihenfolge 8Dio, Piano V, Pianoteq 5 und EZKeys:
Ein Ausschnitt aus einem Stück von Rachmaninoff, Opus 32, das für den eher schweren, massiven Teil des Genres steht
Auf den Uprigths in der Reihenfolge Gentleman, Piano V und EZKeys:
Auf den Grands wieder in der Reihenfolge 8Dio, Piano V, Pianoteq 5 und EZKeys.
Eine modernere Improvisation, die Instrumente hier einzeln, damit man sich heraussuchen kann, was man vergleichen will.
Piano V Upright
The Gentleman
EZKeys Upright
Piano V Concert Grand
Pianoteq 5 D4
8Dio Steinway
EZKeys Grand
Ein schneller Solo Lauf aus dem Jazz-Stück Caravan:
Mit den Uprights in der Reihenfolge Gentleman, Piano V, EZKeys:
Mit den Grands in der Reihenfolge 8Dio, Piano V, Pianoteq 5 und EZKeys
Ein eher technischer Lauf mit Arpeggien, diesmal wieder einzeln, damit es insgesamt nicht zu lang wird.
Piano V Upright
The Gentleman
EZKeys Upright
Piano V Concert Grand
Pianoteq 5 D4
8Dio Steinway
EZKeys Grand
Exotische Modelle
Piano V beinhaltet jedoch mehr als nur gewöhnliche Piano-Modelle. Die Presets geben einen guten Überblick, wie vielfältig ein modelliertes Piano klingen kann. Ich pickte ungefähr die Hälfte der Presets heraus und schaltete live dazwischen um.
Teil 2
Von den exotischen Presets möchte ich einige herausgreifen, ein mal das Glass Grand mit einer Impro:
Und das Preset Metal Fantasy mit einem rhythmischen Arpeggio:
Soft Metal
Ein weiteres weiches, verhalltes Preset Soft and Large
Und ein eher normales Preset in der Ambient-Richtung, Distant Room
Ansonsten gefällt mir von den normalen Modellen noch das Intimate (Grand) ganz gut, weil es tatsächlich etwas wärmer und sanfter daherkommt, als die anderen.
Hier ein kurzer Ausschnitt aus Once Upon A Time von Grieg, in dem das gut zum Tragen kommt. Hier mit dem Preset Intimate D, das noch eine leichte Absenkung beim Equalizer in den oberen Mitten aufweist.
Grieg_PianoV_Intimate_Grand.mp3
Fazit Piano V
Für einen direkten Sprung in die physikalische Modellierung von akustischen Instrumenten ist Piano V ein respektables Instrument. Es bietet eine große Variationsbreite bis hin zu ziemlich außergewöhnlich, wenn dann auch künstlich klingenden Varianten, wie dem Glass- und Metal-Grand.
Bei der Konkurrenz muss man sich unterschiedliche Piano-Modelle extra dazukaufen, hier ist schon eine Reihe enthalten. Ich fragte mich während des Tests immer wieder, wo ich denn das Piano V statt eines anderen, das ich schon im Arsenal habe einsetzen würde. Es kommt wie immer darauf an… Es bietet noch einmal eine deutlich unterschiedliche, eher nüchterne Klangfarbe, es ist in den unteren und auch in den Mittellagen gut definiert und nicht verwaschen, wie es z. B. beim 8Dio Steinway und beim Gentleman manchmal der Fall ist.
Das Piano V ist sehr viel flexibler in seinen Eigenschaften einstellbar, was in speziellen Fällen ein Vorteil sein kann. Unbedingt das to-go Piano ist es für mich nicht, aber eine willkommene weitere Option.
Die exotischeren Modelle ermöglichen einzigartige Klangfarben, die man so kaum oder schwer mit einem Synthesizer hin bekommen würde.
Innerhalb der V Collection 5 ist es aus meiner Sicht eine gute Ergänzung, gerade zu den neuen E-Pianos und Orgeln.
Produkt-Seite von Piano V: https://www.arturia.com/products/analog-classics/piano-v/overview
https://www.arturia.com/de/products/software-instruments/piano-v/overview
Ein Testbericht von Stefan Federspiel