Testbericht: WESTWOOD INSTRUMENTS ALT PIANO

Ein Testbericht von Stefan Federspiel,
veröffentlicht am 12.07.2023

ALT PIANO ist ein Update der ersten Version des Instruments von WESTWOOD, überarbeitet und erweitert und in ihr neues Evergreen Framework für KONTAKT eingepasst. Das Instrument läuft im KONTAKT PLAYER ab Version 6.6 und ist damit für jeden verfügbar, auch wenn man nicht die Vollversion von KONTAKT besitzt.

Alt Piano
Alt Piano von Westwood Instruments

Aufgenommen wurde ein Klavier, also ein Upright, kein Flügel. Es handelt sich um ein Klavier aus den 60er Jahren, das in dem Kellerraum einer Kirche stand und dort längere Zeit für die Aufnahmen einer Band gebraucht wurde. Der Aufnahmeprozess war aufwendig, deutlich über dem Niveau vieler freier gesampleter Pianos, mit teuren Mikrofonen und Vorverstärkern und aus verschiedenen Perspektiven. Das Piano selbst hat Charakter, wie wenn man an ein normales, gut erhaltenes Klavier hinläuft, nicht den eher unpersönlichen Klang eines perfekten Konzertflügels. 

Wenn man zum Vergleich die ebenfalls und noch im gesteigerten Maße charaktervollen Pianos auf Pianobook heranzieht, dann wird jedoch meistens gleich der Unterschied in der Qualität der Aufnahme deutlich. Das zieht sich durch alle Aspekte, die eine Aufnahme haben kann, die Tonalität, der Raum, die Nebengeräusche, wie regelmäßig gesamplet wurde und vor allem die Abstufungen bei der Lautstärke. Das ist die professionelle Aufnahme eines normalen, sich in Gebrauch befindenden Klaviers, keine amateurhafte. Die oft ziemlich unperfekten Instrumente auf Pianobook und aus anderen freien Quellen haben zweifellos ihren Charme, passen oft aber nur in bestimmte Zusammenhänge, sind nicht universell einsetzbar. 

Es gibt sehr gute kommerzielle virtuelle Upright Pianos, mit etwas mehr oder weniger Charakter. Doch dieses scheint mir genau das richtige Maß getroffen zu haben, es klingt perfekt genug, um fast überall eingesetzt werden zu können, hört sich jedoch sehr lebendig an und vor allem ist der Klang außergewöhnlich weit beeinflussbar, ohne dass man noch auf externe Plugin-Ketten zurückgreifen müsste. 

Dabei ist der größte Einflussfaktor, dass das Piano mit und ohne extra Filz zwischen Hämmern und Saiten aufgenommen wurde und man diese Aufnahmen stufenlos überblenden kann. Nun wird schon mancher die Augen verdrehen, beim Thema Piano und Filz, denn dieses abgedämpfte, leicht hohle Timbre hat man vielleicht schon zu oft gehört. Mag sein. Aber ich bin nach wie vor ein Filz-Fan – je nach Einsatzgebiet – und ein bisschen Filz? Oder viel Filz und ein klein wenig harter Anschlag? Hier mit einem Mausklick zu erledigen. 

Alt Piano im Vergleich mit anderen Upright Pianos

Transpitch

Das zweite tonale Highlight und absolute Besonderheit ist auf der Effekt-Seite das Transpitch-Feature. Dabei werden die Samples runter- und dann wieder hoch pitch-geshiftet, dadurch wird der Klang dunkler und wärmer, das lässt sich zwischen zwei und zwölf Stufen regeln. Dabei geht allerdings nach oben hin etwas Tonumfang verloren, bis zu einer ganzen Oktave bei Stufe 12. Da dieses Piano in der unveränderten Natural Einstellung eher hell klingt, ist das eine willkommene Ergänzung, die auch völlig anders wirkt, als alles, was man mit einem Equalizer erreichen kann. 

Transpitch
Transpitch Parameter

Piano Mixes, verschiedene Piano-Presets

Auf der Front-Seite stechen gleich die Auswahl-Buttons für die zusätzlichen Textur-Layer ins Auge. Sie können beliebig, auch kombiniert dazu genommen werden, sind in der Lautstärke editierbar oder können auch solo gespielt werden. So etwas kann man natürlich in der DAW auch extern dazu layern oder man erreicht ähnliche Zusatzfrequenzen durch Effekt-Plugins. Doch diese Texturen sind ganz gut und man merkt ihnen vielleicht tatsächlich an, dass sie aus den Piano-Original-Aufnahmen gewonnen wurden und gut passen. Die Presets zeigen einige schöne Kombinationen. Es können auch mehrere untereinander kombiniert werden oder mit dem Piano.

Der dritte Schieberegler rechts neben dem, der Natural und Felt überblendet und Dynamics, verändert den Klangcharakter der Texturen etwas, meist hin zu einem Tremolo. Vor allem in der Stellung ganz oben scheint es mir aber auch manchmal Störgeräusche zu erzeugen.

Texture Slider
Texture Slider

Die Textures von Alt Piano solo und kombiniert

Rechts unten sind die Regler für die vier Mikrofon-Positionen zu finden. Diese erstrecken sich von ganz nahe, etwas Raum, der Rückseite, auf Ambient-Aufnahmen aus einem Nebenraum(!), die ziemlich entfernt und dumpf verhallt klingen, jedoch subtil beigemischt einen besonderen Raumklang ergeben, der ganz anders wirkt, als der normale Hall, den es daneben auch noch gibt. Allerdings kommt es auch darauf an, was das Klavier spielt, bei schnellen, hohen Noten kommen hauptsächlich die mechanischen Geräusche des Pianos bei diesem sehr entfernten Mikrofon an. 

Auf der zweiten Seite der Mikrofonpositionen findet man Tasten- und Pedalgeräusche, deren Anteil  mehr oder weniger eingeblendet werden kann, sowie die String-Resonanz, wenn das Sustain-Pedal losgelassen wird. Ergänzend befindet sich zwischen dem Texture-Schieberegler und den Mikrofonen noch der Pianist-Action Bereich mit zwei Drehknöpfen, die zusätzlich Geräusche des Pianisten einblenden, wie das Knarzen des Pianohockers oder Kleiderrascheln. Man kann also den Realismus ziemlich auf die Spitze treiben.

Pedal Noises
Pedal Noises

Auf der FX Seite findet man außer dem Transpitch und dem Reverb, das auch auf der Frontseite immer sichtbar ist, ein Delay mit verschiedenen Typen. Ausserdem einen Untune -Regler, der das Piano wie länger nicht mehr gestimmt klingen lässt und Noise, das das Rauschen eines analogen Signalwegs dazumischt, für LoFi Atmosphäre, vor allem in Verbindung mit den anderen Features, die das Klavier altern lassen.

Auch der Stereo-Regler, der das Instrument auch zu Mono zusammenfalten oder bis zum Exzess das Stereobild erweitern kann, hat je nach Zusammenhang seine Funktion.

Wenn man das Reverb aktiviert oder selten auch beim Presetwechsel kracht es ordentlich im Gebälk, deshalb ist es angeraten auf dem Kanal oder dem Master noch einen Limiter zu haben.

Alt Piano FX
FX – Seite

Was mich an diesem Piano neben dem ausgezeichneten Klang vor allem beeindruckt, ist die Flexibilität, die sich aus dem Zusammenwirken der Einstellmöglichkeiten ergibt. Dieses Instrument kann ganz normal, sehr intim, alt und lofi, aber auch groß und durchsetzungsfähig klingen. Zudem verändern die Texturen das Klangbild ins Cinematische, ohne dass man einen größeren Aufwand treiben müsste. 

Piano und Textures gemischt

Experimentellere Presets 

Fazit

Pianos, freie, wie kommerzielle gibt es wie Sand am Meer und man kann sich die Frage, warum man das nun doch vielleicht braucht, von zwei Seiten her stellen. Anfänger in der Musikproduktion, die bisher nur freie Pianos benutzen, finden hier ein Instrument, das deutlich besser und vor allem vielseitiger ist, als alles, was freizubekommen ist. Es gibt einige wenige Instrumente, die qualitativ herankommen, doch das sind keine Uprights und keines kann so flexibel im Klang angepasst werden.

Erfahrenere Produzenten, die schon mindestens eine Handvoll ausgesuchte freie oder kommerzielle virtuelle Pianos zur Verfügung haben, können sagen, dass sie kein weiteres brauchen, denn der Klang lässt sich auch mit anderen Mitteln etwas anpassen. Ambient-Sounds lassen sich auch dazu layern.

Für mich, als Piano-Liebhaber sticht dieses Instrument dennoch heraus, denn es klingt etwas lebendiger, unperfekter und realer als viele polierte und vielleicht noch aufwendiger gesamplete Pianos. Der Klang in den oberen Lagen, auch bei der Natural Variante ist weicher und wärmer, als bei allen anderen Pianos, die ich habe, die leichte Schwäche im Bass muss man im Auge behalten.

Auch hier gilt, dass es das passende Piano für einen Track sein kann oder nicht. Und es ist einfach viel praktischer, mit ein paar Mausklicks in einem Instrument die Klangfarbe und viele Details ändern zu können, statt eine Reihe von Plugins auszuprobieren, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. 

Produktseite Alt Piano

Es gibt von ALT PIANO auch eine freie Lite Version. Das ist nur die Felt Artikulation in der Close-Mikrofonaufnahme, sonst nichts. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*