Kurztest: CHERRY AUDIO PRO SOLOIST

Ein (kurzer) Testbericht von Perry Staltic,
veröffentlicht am 21.11.2023

Die Überraschung des Tages: CHERRY AUDIO hat eine Analog-Emulation entwickelt! Scherz beiseite, das ist ja eigentlich auch genau das, was man von dieser kalifornischen Software-Schmiede hauptsächlich erwartet, wenn man von ihren gelegentlichen Ausflügen ins Reich der explizit digitalen Syntheseformen absieht.

Mit dem neuen PRO SOLOIST hat CHERRY AUDIO sich des gleichnamigen Keyboards von ARP angenommen, nach dem CA2600 und dem QUADRA ist dies bereits die dritte Virtualisierung eines Klassikers dieses längst von uns gegangenen amerikanischen Synthesizer-Herrstellers.

Einmal mehr allerdings erreichte mich die Kunde erst so knapp vor der Veröffentlichung, dass Ihr aufgrund des engen Zeitfensters mit einem Kurztest vorlieb nehmen müsst


Presetschleuder…

Mit dem PRO SOLOIST brachte die Firma ARP vor rund einem halben Jahrhundert ein monophones Keyboard auf den Markt, das zwar unter der Bezeichnung „Synthesizer“ verkauft wurde, jedoch keine frei einstellbaren Klänge, sondern ausschließlich Presets bot, die während des Spielens mittels einiger Performance-Regler sowie Aftertouch lediglich in einem gewissen Rahmen verändert werden konnten.

ARP PRO SOLOIST
ARP PRO SOLOIST

Presets waren damals aber noch keine solche Selbstverständlichkeit wie heute, daher wurde das Instrument von der musizierenden Zunft durchaus gut angenommen, zumal es gegenüber seinem direkten Vorgänger namens SOLOIST in einigen wesentlichen Punkten verbessert worden war, etwa hinsichtlich seiner Stimmstabilität und der Anzahl der Presets.

Die über Kippschalter abrufbaren Presets boten neben ein paar heutzutage eher klischeehaft wirkenden Synthiesounds überwiegend Imitationen diverser akustischen und elektrischen Instrumente, über deren Authentizität wir in Zeiten von Gigabytes großen Sampling-Bibliotheken und Acoustic Modelling nur noch müde lächeln können, die allerdings in den frühen 1970ern dem Stand der Technik entsprachen und dafür, dass sie komplett analog erzeugt wurden, erstaunlich realistisch klangen (eine entsprechend virtuose Spielweise vorausgesetzt…).

Der Klang wurde mit Hilfe eines einzelnen Oszillators erzeugt, der Puls- und Sägezahnwellen gleichzeitig wiederzugeben vermochte, Letztere wurden dabei ebenfalls aus kombinierten Pulswellen erzeugt und wiesen daher eher eine Treppenform auf. Neben Hoch- und Tiefpassfiltern hatte das Instrument auch Resonatorbänke an Bord, die die in den jeweiligen Presets allesamt festverdrahtet und nicht frei zugänglich waren.

Die Liste der Keyboarder, die den PRO SOLOIST einsetzten, entsprach dem damaligen Who’s Who der der Musikszene aus Rock, Jazz und Funk und eine Aufzählung würde den Rahmen hier bei weitem sprengen.


Gewohnheitstier…

Der virtuelle PRO SOLOIST ist ein 64-Bit-Plugin und wird in den Formaten VST2, VST3, AAX und AU angeboten. Zudem ist eine Standalone-Version verfügbar, die ohne Host auskommt bzw. ihren eigenen gleich mitbringt. Lauffähig ist das Plugin auf den Betriebssystemen WINDOWS ab Version 7 sowie macOS ab Version 10.13. Die native Unterstützung von APPLE’s SILICON-Prozessoren ist ebenfalls gegeben. Ich habe hier nur die VST-Varianten unter Windows 10 getestet.

Das Plugin erfordert vor der ersten Verwendung einmalig eine aktive Internetverbindung, diese dient sowohl der Fertigstellung der Installation als auch der endgültigen Freischaltung auf dem Rechner. CHERRY AUDIO bietet keine Form der Offline-Aktivierung an.

CHERRY AUDIO PRO SOLOIST - allgemeine Merkmale
CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – allgemeine Merkmale

Auch die weiteren allgemeinen Merkmale des PRO SOLOIST weisen diesen als ein typisches CHERRY AUDIO-Plugin aus, sei es die skalierbare Bedienoberfläche, die sich mittels Focus-Funktion ausschnittsweise vergrößern lässt, sei es die sehr detailliert einrichtbare MIDI-Steuerung inklusive Lern-Modus oder sei es die QWERTY Keyboard getaufte zusätzliche Klaviatur, die sich nicht nur mit der Maus, sondern auch mit der Computer-Tastatur spielen lässt. Auch der komfortable Preset-Browser, das umfangreiche Settings-Menü oder die diversen Extras wie Undo und Redo sowie die einstellbare Oversampling-Qualität zählen dazu.


Dreifaltigkeit…

Beim ersten Öffnen des PRO SOLOIST sprang mir eine Bedienoberfläche entgegen, die nahezu die gesamte Breite meines Bildschirms vereinnahmte. Natürlich lässt sich die aber auch entsprechend verkleinern.

Einmal mehr ist sich CHERRY AUDIO treu geblieben und hat eine mehr oder minder naturgetreue Nachahmung der Hardware einem platzsparenden und praktischeren GUI-Layout vorgezogen. Auf die übergroße und prinzipiell unnütze Klaviatur werden wohl die wenigsten Anwender tatsächlich etwas anfangen können, und dieses Pseudo-3D-Design inklusive perspektivischer Verzerrung fand ich noch nie sonderlich toll, auch bei anderen Plugin-Herstellern nicht.

CHERRY AUDIO PRO SOLOIST - Performance Mode
CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – Performance Mode

Standardmäßig präsentiert sich PRO SOLOIST im sogenannten „Performance Mode“, einem von insgesamt drei Ansichten des Plugins. Hier lassen sich Nachbildungen der damaligen 30 ARP-Werksklänge über virtuelle Kippschalter aufrufen und mit Hilfe einiger Schalter und Regler während des Spielens klanglich verändern. Dieser Modus richtet sich an diejenigen, die einfach eine reine Emulation der Hardware wünschen, mit der sie sofort loslegen können. Die hier direkt anwählbaren Factory Presets finden wir alle zusätzlich auch noch einmal im oben erwähnten Preset-Browser.

Im Gegensatz zu seinem Vorbild erlaubt CHERRY AUDIO’s PRO SOLOIST übrigens nicht nur monophones Keyboardspiel, sondern ist auch sechzehnstimmig polyphon spielbar. Zudem wurde die Stimmenarchitektur gleich doppelt implementiert, so dass neben Single-Sounds auch Double- und Split-Sounds realisiert werden können.

Der PRO SOLOIST reagiert auf Aftertouch, sowohl monophonen als auch polyphonen. Wer nur über einen Controller verfügt, der lediglich monophonen (Channel-)Aftertouch erzeugen kann, der kann Gebrauch von der sogenannten LAST-Option machen, bei welcher ausschließlich die zuletzt gespielte Note moduliert wird und somit polyphoner Aftertouch zumindest simuliert werden kann.

CHERRY AUDIO PRO SOLOIST - Edit Mode
CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – Edit Mode

Im „Edit Mode“ offenbart PRO SOLOIST den Zugriff auf die Parameter der zugrunde liegenden Klangarchitektur, und zwar getrennt für jedes der beiden möglichen LAYERS. Ab hier befreit er sich dann aus dem Korsett seines Vorbilds und wird zu einem vollständig editierbaren Synthesizer, der diese Bezeichnung auch tatsächlich verdient hat.

Von links nach rechts gibt es Einstellmöglichkeiten für den bedarfsweise synchronisierbaren LFO mit vier Schwingungsformen und einer zusätzlichen Einsatzverzögerung, für die Intensität diverser Quellen in Bezug auf die Pulsweitenmodulation sowie FM, für den VCO (neben Sägezahn und Puls gibt es hier auch eine sogenannte „Super Wave“) und dessen in die Filtersektion bzw. in die Resonatorbank geleiteten Signalanteile, für VCF und VCA sowie für die beiden ARP-typischen Hüllkurven (einmal ADSR und einmal AR). Abgerundet wird das Ganze noch durch eine kleine Modulationsmatrix mit sechs Slots.

Die erwähnte Filtersektion setzt sich aus einem vorgeschalteten Hochpass ohne Resonanz sowie dem als Tiefpass ausgeführten VCF (24dB pro Oktave, resonanzfähig). Die Resonatorbank besitzt fünf einzelne Resonatoren (resonanzfähige Bandpassfilter mit jeweils 12dB pro Oktave), die zwecks Platzersparnis durch Tabs voneinander getrennt sind und über eigene Presets verfügen.

CHERRY AUDIO PRO SOLOIST - Edit Mode
CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – Edit Mode

Eine dritte mögliche Ansicht der Bedienoberfläche präsentiert einen Arpeggiator mit Synchronisationsmöglichkeit und diversen Abspielmodi, einen globalen Limiter ohne weitere einstellbare Parameter sowie eine Effektsektion, bestehend aus den fünf Modulen DISTORT (Verzerrer), PHASER, FLANGER/CHORUS, ECHO und REVERB, also den üblichen Verdächtigen.

Die verschiedenen Algorithmen der einzelnen Module sind für Besitzer anderer CHERRY AUDIO-Plugins ebenfalls keine Unbekannten, von daher erwartet einen hier auch dieselbe Audioqualität, die für den angestrebten Einsatzzweck sicherlich mehr als ausreichend.


Klangschale…

Mit dem ARP PRO SOLOIST geht es mir wie mit vielen der klassischen Synthesizer: Ich hatte niemals einen persönlichen Kontakt mit ihm und kenne ihn lediglich von diversen Audioaufnahmen und Video-Präsentationen (bei denen oftmals noch eine Datenreduktion zum Einsatz kommt).

Was das Plugin von CHERRY AUDIO angeht, hatte ich zunächst keine sonderlich großen Erwartungen, nachdem ich ein Youtube-Video seines Vorbilds gehört hatte, dessen Factory Presets zwar ganz nett klangen, für meinen subjektiven Geschmack allerdings heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorzulocken vermögen.

Umso positiver überrascht war ich dann von den Presets des virtuellen PRO SOLOIST, und zwar nicht unbedingt von den Nachbildungen der ARPschen Werksklänge, sondern vielmehr von den übrigen Sounds, die sich sehr von den Möglichkeiten des Originals abheben und dazu noch mit einem guten Grundklang aufwarten können. Vieles davon klingt für mich eher nach hippen 80er-Synthwave als nach verstaubten 70er.

Besonders gut gefallen haben mit diverse Pads, Bässe und Leads sowie ein paar gelungene Effektklänge, die nun allesamt so gar nichts mehr mit dem alten Preset-Keyboard von vorgestern zu tun haben. Auch die Filter-Sweeps kommen gut, prägnant und knackig rüber.

Natürlich erwartet hier einen jetzt kein bisher nie dagewesenes Klanggut, das wäre von der virtuell-analogem subtraktiven Synthese wohl auch etwas zuviel verlangt, aber das Gebotene ist wirklich brauchbar und lässt sich gut einsetzen.

Für diejenigen, die sich vor allem für die reine Emulation des ARP-Geräts interessieren, habe ich einmal von allen via Kippschalter direkt anwählbaren Facory Presets kurze aufsteigende Notenfolgen in mehreren Oktaven angespielt (ja, ich weiß, diese Sounds leben eigentlich zu einem nicht unwesentlichen Teil auch von einer authentischen Spielweise der nachgeahmten Instrumente, sorry…);

Klangbeispiel CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – ARP Factory Presets

Gerne hätte ich auch mal wieder einen kompletten Track nur mit diesem Plugin gemacht, allein die Zeit war nicht ausreichend. Daher gibt es nachfolgend gibt es nur eine kleine Präsentation einiger weiterer Presets, neben diesen sind tatsächlich noch zahlreiche ähnlich gelungene Klänge an Bord:

Klangbeispiel CHERRY AUDIO PRO SOLOIST – diverse Presets

Ich hatte allerdings erst nach Fertigstellung der Klangbeispiele bemerkt, dass CHERRY AUDIO mir zusätzlich zum Plugin auch noch ein gesondert erhältliches Preset-Pack des Sound-Designers James Dyson spendiert hatte, welches VINTAGE VIBES FOR PRO SOLOIST heißt. Im Nachhinein kann ich leider nicht mehr genau trennen, welche der oben angespielten Presets aus eben diesem Pack stammen und welche zum regulären Bord-Inventar des PRO SOLOIST gehören.


Fazit:

Optisch empfinde ich den PRO SOLIST jetzt nicht unbedingt als atemberaubende Schönheit, das liegt an dem beinahe schon sklavischen Festhalten am Design der in meinen Augen ebenfalls nicht sonderlich hübschen Hardware von ARP, aber auch an der ziemlich sinnbefreiten Pseudo-3D-Grafik. Diese immer wieder präsentierte platzfressende Klaviatur braucht auch keiner.

Klanglich macht der PRO SOLIST hingegen eine gute Figur und kann mit allerlei quasi-analogen Standards sowie einigen durchaus ungewöhnlicheren Sounds aufwarten. Man sollte sich hier keinesfalls vom äußeren Erscheinungsbild abschrecken lassen, das Plugin hat wesentlich mehr drauf, als es zunächst den Anschein erwecken mag.

Inwieweit PRO SOLIST als Emulation in puncto Authentizität gegenüber dem Original aus den 1970ern abschneidet, kann ich aufgrund mangelnder echter Vergleichsmöglichkeiten nicht wirklich bewerten, wer das Plugin als Ersatz für seine Hardware einsetzen möchte, kann dies leicht anhand der Demoversion selbst ermitteln. Letztere ist 30 Tage lang lauffähig, außer periodisch einstreuten Störsignalen hat sie keine weiteren Einschränkungen.

PRO SOLOIST wird bei CHERRY AUDIO zum Einführungspreis von 49,- US-Dollar angeboten, der reguläre Listenpreis beträgt 69,- US-Dollar.

James Dyson’s optionales Preset-Pack VINTAGE VIBES FOR PRO SOLOIST ist für 9,99 USD zu haben und stellt wieder einmal unter Beweis, dass dieser Mann in seinem Metier wirklich was drauf hat.

Übrigens, wer sich gleich die volle Dröhnung verpassen möchte, der kann auch zum neuen SYNTH STACK 4 greifen, das alle 22 Plugins von CHERRY AUDIO sowie rund 8000 Presets in einem Bundle vereint. SYNTH STACK 4 ist bis zum 05.12.2023 zum Einführungspreis von 299,- USD erhältlich, danach gilt der reguläre Preis von 399,- USD.


Positives:
+ guter Grundklang
+ gegenüber dem Original erweiterte Klangmöglichkeiten
+ Split- und Double-Sounds möglich
+ einfache Bedienung
+ brauchbare Effekt-Sektion
+ umfangreiche MIDI-Learn-Sektion
+ vergleichsweise geringe CPU-Anforderungen
+ fairer Preis

Negatives:
– keine Offline-Aktivierung bzw. -Installation möglich
– übertrieben realistische Bedienoberfläche


Produktwebseite PRO SOLOIST: https://cherryaudio.com/products/pro-soloist

Produktwebseite VINTAGE VIBES FOR PRO SOLOIST: https://store.cherryaudio.com/presets/vintage-vibes-for-pro-soloist

Produktwebseite SYNTH STACK 4: https://cherryaudio.com/products/synth-stack-4

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