Es gibt zwar bei virtuellen Gitarreninstrumenten meist auch eine Flagoelett-Artikulation, wenn man damit aber eine ganze Samplebibliothek einspielen will und das auf 30 verschiedenen Gitarren, dann ist das eine Mega-Aufgabe. Kyle Z hat sich mit seiner Firma In Session Audio auf sehr hochwertige Gitarren-Loop-Bibliotheken spezialisiert. Sein neuestes Instrument basiert aber nicht auf Loops, sondern auf Multi-Samples und ist ganz normal chromatisch spielbar.
Die Gitarren wurden nicht nur herkömmlich, sondern auch in Drop- und Stretch- Varianten gestimmt um möglichst viele Originalaufnahmen von Flagoelett-Tönen zu bekommen, die einzelnen Gitarren sind jeweils über den ganzen Keyboard-Bereich gemappt. Auf der Website wird gefragt, warum ein Instrument ausschließlich mit Harmonics und geantwortet, weil sie einerseits vertraut und andererseits mystisch klingen und dabei pur und klar. Das ist eine ganz zutreffende Beschreibung, der Sound von Harmonics oder Flagoelett kann je nach Kontext etwas magisches haben.
Fluid Harmonics stellt aber nicht nur die gewöhnliche Samplebibliothek plus ein paar Effekte dar, sondern geht mit dem Konzept der Triple Play Engine, bei der drei Sounds gelayert oder unabhängig mit Arpeggiatoren gespielt werden können einige Schritte darüber hinaus. Von großen Herstellern gibt es mittlerweile schon sehr komplexe Instrumente für Kontakt, für eine kleine Sample-Schmiede wie In Session Audio ist das aber eine aussergewöhnliche Leistung. Auf der Website gibt es ein nettes Filmchen das die Entstehungsgeschichte des Instruments im Detail erzählt. https://insessionaudio.com/products/fluid-harmonics/ Video: Behind the Scenes
Die Triple Play Engine
Fluid Harmonics stellt drei Slots für Instrumente bereit, die übereinander geschichtet werden können. Jeder dieser Layer ist komplett unabhängig, die Grundeinstellungen, die Effekte und die Arpeggiatoren können separat eingestellt werden. Das Interface ist in zwei Screens unterteilt, einer für die Layereinstellungen und Effekte und einer für die Arpeggiatoren und deren Parameter.
Ein Layer-Tab ist von links nach rechts in die Bereiche für Layer, Pitch, Filter und Amplifier unterteilt. Oben links finden sich Speicher- und Lade-Buttons für die Einstellungen des gesamten Layers, was sehr lobenswert und auch Heute nicht selbstverständlich ist. Für den Layer an sich gibt es Einstellungen für die Okavlage, Finetuning und Stack, was es erlaubt mehrere Töne übereinanderzustapeln, dabei stehen etliche Intervall- oder Akkordtypen zur Auswahl, die Lautstärke dieser zusätzlichen Akkord-Noten kann separat eingestellt werden. Interessant kann es auch sein hier in den verschiedenen Layern sich ergänzende Intervalle einzustellen.
In der Sektionen für Pitch wird die Tonhöhe über einen LFO oder eine Envelope moduliert oder es kann ein anderer Sample-Start festgelegt werden, auch eine zufällige Startposition ist möglich.
Die Abteilung für den Filter ist für Kontakt schon sehr üppig ausgebaut, grundsätzlich werden Low pass, Band pass, High pass und ein Effektfilter, diesem Fall ein Vowelfilter angeboten aber eben mit verschiedenen Flankensteilheiten und unterschiedlich klingende Varianten. Der Filter verfügt ebenfalls über eine eigene Envelope, LFO und Keyboard-Tracking.
Der Amplifier bietet die üblichen ADSR-Einstellungen an, einen Velocity-Sensivity Parameter und drei feste Presets, für Kurven, die den Lautstärkeverlauf von Harmonics, Piano und Pads abbilden. Zusätzlich gibt es ein LFO, mit dem also auch Tremolo-Effekte möglich sind.
Das Ganze pro Layer, als drei mal, was schon eine breite Palette an Klangmanipulationen erlaubt, was sich auf den Zusammenklang aller drei geladenenen Instrumente auswirkt.
Aber abgesehen davon ist schon rein vom Sound der verschiedenen Gitarren her einiges an Abwechslung geboten. Ergänzend dazu finden sich noch hundert unterschiedliche Synthesizer- und Klang-Patches, die bei Bedarf noch eine andere Farbe mit hinein bringen. In diesem Beispiel-Video klicke ich möglichst schnell durch alle 44 Gitarrenartikulationen und einige der zusätzlichen Synth-Klänge. Dabei ist nur ein Layer aktiv und alle Effekte deaktiviert, man hört also den rohen Grundklang der einzelnen Instrumente.
Die Effekte
Die flexiblen Effekt-Ketten, die Fluid Harmonics anbietet sind erst mit der neuesten Kontakt-Version möglich. In dem kürzlich getesteten CinemorphX findet sich etwas ähnliches, hier können aus einer Auswahlliste nicht nur Effekte on the fly in 6 Slots pro Layer geladen werden, sie können sogar einfach in ihrer Reihenfolge hin- und herverschoben werden. Man kann hierbei aus den Kategorien Modulation, Amp/Cabinet, Dynamics, Distort, Stereo, Space, Filter, Equalizer, Rotator und Sends auswählen. Wobei Sends an drei Delays und drei Reverbs sendet, exzessiv verhallte Drones und Soundscapes dürften also kein Problem darstellen. Für die Reverbs besteht die Auswahl aus 64 Imulsantworten, für die Amp Cabs sind es 12. Für jeden Effekt werden eine Anzahl Presets angeboten, eigene Presets können abgespeichert werden. Alles in allem sind 22 Effekte plus drei Filter und die drei Send-Delays und drei Send-Reverbs gleichzeitig möglich, wenn auch nicht unbedingt sinnvoll.
Im Performance-Tab stellt man für das ganze Instrument den Pitch-Bend-Bereich ein, Scale Lock zwingt die gespielten Noten in eine bestimmte Skala, die Auswahl an Skalen deckt die gängigen Dur/Moll Varianten, Kirchentonarten und pentatonische Skalen ab. Humanize bringt mehr oder weniger starke zufällige Variationen in das Timing, Lautstärke, Tuning und Panning hinein, die das Ganze etwas natürlicher wirken lassen, was gerade beim zunächst relativ mechanischen Output von Sequencern eine passende Ergänzung darstellt. Unison stellt einen klassischen Unison-Effekt mit Vervielfachung der Stimmen, Detuning und Verteilung im Stereofeld bereit. Insgesamt auch hier eine Menge praktische Spielhilfen.
Die Triple Play Sequencer
Vorab: Habe ich schon gesagt, dass das Design der Oberfläche von Fluid Harmonics großartig ist? Es ist modern, einfach schön, noch funktional genug und sticht aus der Masse der mehr oder weniger gelungenen Benutzeroberflächen, sei es für Kontakt oder sonstige Instrumente oder Effekte Sonnenhell hervor. Gerade auf der Seite mit den Sequencern fällt das wohltuend auf.
Von dem Screen mit den Layer-Tabs und Effekten kommt man mit einem Klick auf das Triple Play Logo zu den drei Sequencern. Die Dreiecke ganz links neben den fünf Werten, die per Sequencer gesteuert werden können zeigen an, ob die jeweilige Sequenz aktiviert ist. Die erste Sequencer-Linie steuert den Rhythmus und die Velocity-Werte der einzelnen Schritte des Arpeggios.
Pitch verändert die Tonhöhe eines Steps gegenüber dem auf der Tastatur ausgelösten Wert um bis zu 24 Halbtonschritte nach oben oder unten.
Bei Cut steuert die Höhe des Balkens den Cutoff des Filters dieses Layers pro Step. Je nachdem, wie die Grundeinstellungen des Filters sind kann sich das drastisch auswirken.
Volume ist im Prinzip ein Gate-Effekt, ein bisschen schien es zunächst doppelt gemoppelt, da schon der Velocity-Wert im Arp-Sequencer die Lautstärke beeinflusst. Jetzt kann es bei Synthesizern einen Unterschied in der Entwicklung des Klangs ausmachen, ob Velocity wirkt oder schlicht der Pegel des Kanals verändert wird. Aber hier konnte ich keine Änderung feststellen ob nun Arp oder Volume bei beispielsweise 50% liegt, ausser bei der Lautstärke. Und natürlich, wenn Lücken zwischen den Steps liegen, dann wird das Signal abgeschnitten.
Pan steuert die Position im Stereofeld pro Schritt und kommt in den Presets nach Arp am häufigsten zur Anwendung.
Zwei oder mehr Schritte zu einem längeren zusammenfassen kann man nicht. Ein weitere Flexibilisierung könnte man erreichen, wenn man das Retriggering der Sequenz nach Notenende ausschalten könnte oder noch besser mit einem einstellbaren Zeitwert in Millisekunden versehen könnte, bei CinemorphX bringt das einiges.
Alle Step-Sequencer-Einstellungen lassen sich pro Layer abspeichern und wieder aufrufen, davon gibt es auch schon einige vorgefertigte Presets. Unter den Sequencern sind die üblichen Einstellungen für den Typ des Arpeggios, up, down, as played usw. und die Schrittlänge in Notenwerten, die Länge der Sequenz kann festgelegt werden und die Spannbreite der Oktaven über die das Arpeggio laufen kann.
Rechts neben den Steps wird es richtig luxuriös, denn hier können mit einem Klick auf eines der Wellenform-Symbole entsprechend gestaltete Schrittfolgen in das Step-Raster eingefügt werden. Andere Buttons erhöhen oder erniedrigen global die Höhe der Balken oder verschieben sie horizontal Schrittweise. Zusätzlich gehaltene Tasten auf der Computertastatur verändern zusätzlich die eingefügten Formen. Darunter finden sich Kontrollen für die Laufrichtung, Gate, Swing und Scene. Mit Scene haben wir tatsächlich einen Speicher für acht Sequenzen in der Form eines Drehreglers, den man auch automatisieren kann. Random zeichnet Schritte per Zufallsfunktion ein, Revers kehrt die Schrittfolge um und Invert verkehrt alle Werte in ihr Gegenteil.
Master Sequencer macht den Sequencer dieses Layers auch zu dem für die beiden anderen und lässt die drei geladenen Instrumente unisono spielen.
Sequenzen einzeichnen und manipulieren
Alles in Allem erfüllt Triple Play alle Anforderungen an einen modernen Step Sequencer/Arpeggiator und das sehr komfortabel. Im Dreierpack liegt der Witz des Konzepts, denn so entstehen mit Leichtigkeit neue Melodien und ineinandergreifende Muster, die im Zusammenwirken der magischen Flagoelett-Klänge eine ganz eigene Wirkung entfalten.
Presets
Die Patches für Fluid Harmonics gliedern sich in vier Kategorien, Acoustic, Electric, Rhythmic Pulses und Solo.
Einige Beispiele für jede Kategorie:
Acoustic Arps
Electric Arps
Rhythmic Pulses with Modwheel
Solo Acoustic
Solo Electric
Solo Electric Bass
Neue Klangfarbenkombinationen mit den zur Verfügung stehenden Gitarren- und Synth-Sounds.
Fazit
Fluid Harmonics hat für mich etwas von einem Überraschungs-Instrument. In Session Audio steht bisher für sehr hochwertige Gitarren-Loop Bibliotheken und eben nicht für Multisample-Instrumente. Man merkt dem Konzept des Instruments an, dass darüber Jahrelang nachgedacht wurde und die Form, in die es gebracht wurde ist aussergewöhnlich gelungen. Die Neuerungen in der Kontakt-Engine schlagen auch hier positiv zu Buche, diese flexiblen Effektketten und die Speicherung von Presets für Arpeggiatoren und Effekte wäre so bis vor kurzem gar nicht möglich gewesen. Es ist schwer zu sagen, aber mir scheint, dass sich Harmonics besser für diese Art des Spiels über Arpeggiatoren eignen, als eine normale Gitarrenbibliothek, wo man mehr Abwechslung bei der Artikulation und typische Spielmuster erwarten würde. Das bieten verschiedene virtuelle Gitarren auch, aber eben nicht mit drei unabhängigen Layern in einem Instrument. Fluid Harmonics funktioniert in einigen Aspekten eher wie ein Synthesizer, aber auf einer sehr organisch und natürlich klingenden Grundlage. Der Einsatzbereich ist breit und überall, wo man einen Gitarren-ähnlichen Sound mit dem gewissen Etwas in einem harmonischen, Melodie-orientierten Kontext brauchen kann bietet sich Fluid Harmonics an. Das Experimentieren mit den Sequencer-Pattern geht leicht und komfortabel von der Hand und macht viel Spaß – und das ist die Hauptsache.
+ Tolles Design der Oberfläche
+ Vielseitige Arpeggiatoren
+ Viele in die Tiefe gehende Einstellungen möglich
+ Interessanter organischer Klang
Produktseite: https://insessionaudio.com/products/fluid-harmonics/
Ein Testbericht von Stefan Federspiel