Ein (kurzer) Testbericht von Perry Staltic,
veröffentlicht am 29.08.2023
Nach mehreren Emulationen analoger Synthesizer bringt CHERRY AUDIO zur Abwechslung mal wieder eine eigenständige Kreation an den Start, diese nennt sich CHERRY AUDIO HARMONIA und zeigt sich inspiriert vom digitalen Klangbild diverser Vektor- und Wavesequencing-Synthesizer, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er populär waren. Ich hatte die Gelegenheit, den Neuankömmling zusammen mit dem optional erhältlichen Preset-Set EUPHONIC SONICS vorab anzutesten, aus zeitlichen Gründen müsst Ihr dieses Mal allerdings mit einem Kurztest vorliebnehmen.
Alte Bekannte…
HARMONIA ist ein 64-Bit-Plugin, erhältlich in den Formaten VST2, VST3, AAX und AU. Darüber hinaus wird auch wieder eine Standalone-Version angeboten. Man benötigt entweder WINDOWS ab Version 7 oder macOS ab Version 10.13. APPLE SILICON-Prozessoren werden nativ unterstützt.
Wie bei allen Plugins von CHERRY AUDIO wird sowohl für die Installation als auch für die anschließende Aktivierung eine aktive Internetverbindung auf dem Host-Rechner benötigt, eine Offline-Aktivierung ist nicht vorgesehen.
Die grundsätzlichen Merkmale folgendem Standard von CHERRY AUDIO, sie beinhalten also alles, was man auch von anderen Plugins dieses Herstellers kennt, angefangen von der skalierbaren Bedienoberfläche inklusive Focus-Funktion und dem typischen Preset-Browser, über die umfangreiche MIDI-Controller-Anbindung und dem QWERTY Keyboard bis hin zu den Settings, der Undo/Redo-Funktion und der Einstellmöglichkeit für die Oversampling-Qualität.
Harmoniebedürfnis…
HARMONIA präsentiert sich mit einer sehr klar strukturierten Bedienoberfläche, die zwar komplex, aber nicht überladen wirkt. Für meinen Geschmack hätten lediglich die etwas schwer abzulesenden Strich-Markierungen auf den orangefarbenen Drehreglern einen Ticken kontrastreicher ausfallen können. Ansonsten ist HARMONIA aber weitgehend augenfreundlich gestaltet.
Auffallen dürfte dem geneigten Synthesisten sicherlich sofort die nicht ganz herkömmliche Oszillator-Sektion, deren zum Teil ungewohnte Funktionen sich nicht alle unbedingt auf Anhieb erschließen. Dennoch gelingt der Einstieg schneller als gedacht, wenn man sich nur mal ein paar Minuten mit dem dahinter stehenden Konzept befasst hat. Wie so oft gilt auch hier das Prinzip „Probieren geht über Studieren“ und mit ein wenig Experimentierfreude hat man schnell die ersten eigenen Klänge gebastelt.
Grundsätzlich arbeitet HARMONIA samplebasiert, ist jedoch nicht bloß ein einfacher ROMpler, wenngleich er auch solche Klänge drauf hat, zumindest in begrenzter Form, denn hier kommen keine Multi-Samples zum Einsatz, so das jedes Samples über die gesamte Tastatur wiedergeben wird, inklusive der typischen sich daraus ergebenden Transponierungseffekte. Es ist aber auch gar nicht HARMONIA’s Anspruch, eine Gigabyte schwere Workstation zu ersetzen, denn er versteht sich ja in erster Linie als Synthesizer.
Die Auswahl der zur Verfügung stehenden Samples ist üppig und umfasst zahlreiche Kategorien, von einfachen Standardwellenformen bis hin zu Vokal- und Orchesterklängen, viele davon sogar in Stereo.
Wem dies immer noch nicht ausreicht, der kann auch eigene Samples im WAV-Format mit beliebiger Sample-Rate in die Oszillatoren laden. Falls diese bereits Metadaten mit Loop-Punkten enthalten, übernimmt HARMONIA jene ebenfalls, ansonsten werden die Samples als One-Shots abgespielt.
Im Gegensatz zu einem normalen ROMpler bietet jeder der beiden Oszillatoren die Möglichkeit, bis zu acht verschiedene Tonhöhen aus der Wellenform abzugreifen und diese simultan wiederzugeben. Mit den acht roten Drehreglern, über denen sich jeweils ein dazugehöriges Zifferndisplay befindet, stellt man die gewünschte Tonhöhe wahlweise als Halbtonschritt (0 bis 36) oder als Oberton (0 bis 37ter) ein. Ein solches Setting lässt sich übrigens auch separat als HARMONICS PRESET abspeichern und laden.
Mit dem CENTER-Schieberegler kann man die acht als Balken dargestellten Pitches von Hand durchfahren, und mit dem orangefarbenen WIDTH-Drehregler definiert man die Bandbreite, ob also nur der einzelne, jeweils ausgewählte Pitch oder auch die benachbarten bzw. gleich alle acht Pitches wiedergegeben werden. Je höher die Bandbreite, desto größer ist auch das Obertonspektrum.
Natürlich kann man die genannten Parameter nicht nur manuell steuern, sondern sie auch mit Hilfe einer der vielen Modulatoren automatisieren, etwa durch einen LFO, einer Hüllkurve oder anderen Modulationsquellen. Hier beginnt der Spaß dann auch erst richtig!
Die weiteren Möglichkeiten zur Klangformung sind dagegen nicht ganz so extravagant ausgefallen: Neben einem Multimode-Filter mit sieben Typen finden wir zwei ADSR-Hüllkurven (warum eigentlich nicht mal etwas komplexere Multi-Segment-Envelopes…?) sowie vier über Tabs erreichbare LFOs, die wahlweise monophon (also global) oder polyphon (also stimmenbezogen) arbeiten können. Eine Modulationsmatrix mit acht Slots und zahlreichen möglichen Quellen und Zielen fehlt ebenso wenig wie ein kleiner Mischer für die beiden Oszillatoren. Die maximale Polyphonie beträgt übrigens sechzehn Stimmen.
Die bei CHERRY AUDIO fast schon obligatorische Effekt-Sektion ist ebenfalls mit an Bord und bietet diverse hauseigene Algorithmen aus den vier gleichzeitig nutzbaren Kategorien Distortion, Modulationseffekte, Delay und Reverb. Deren Qualität dürfte inzwischen wohl hinlänglich bekannt sein.
Klangschale…
Neben diversen Brot- und Butter-Klängen aller Kategorien bietet HARMONIA auch recht ungewöhnliche Kost, die ihn für das Aufgabenfeld der Film- und Game-Vertonung geeignet erscheinen lassen, beispielsweise eindringliche Effekte und Atmosphären, die sich durch Modulation der harmonischen Oszillatoren schnell und einfach basteln lassen. Gefallen haben mir auch die zum Teil sehr dichten und breiten Pads, die ihre digitale Herkunft nicht leugnen können (und auch gar nicht sollen!).
Aus dem großen Fundus an mitgelieferten Presets habe ich nachfolgend ein Dutzend rausgesucht und angespielt. Die letzten drei Presets dieser Auswahl spielen dabei in Form einer kleinen Miniatur zusammen:
Wie eingangs und im Titel erwähnt, hatte CHERRY AUDIO mir noch ein separat zu erwerbendes Preset-Paket namens EUPHONIC SONICS zukommen lassen. Dieses stammt vom Sound-Designer James Dyson und enthält 100 zusätzliche Klangkreationen für HARMONIA, darunter befinden sich ebenfalls eine Menge wirklich gelungener Presets. Hier könnt Ihr zwölf davon hören:
Wer nicht ganz so gerne selbst Klänge schraubt oder im hektischen Studioalltag einfach keine Zeit für so etwas hat, der ist mit diesem Set durchaus gut beraten.
Fazit:
Nach dem DREAMSYNTH DS-1 und dem von mir sehr geschätzten SINES präsentiert CHERRY AUDIO endlich wieder ein eigenes Konzept jenseits der drölfzigsten Analog-Emulation. HARMONIA kann dabei mit einem ungewöhnlichen Ansatz hinsichtlich der Oszillatoren punkten, der zum Klangforschen einlädt und mit einer Vielzahl an interessanten digitalen Sounds aufwartet.
CHERRY AUDIO bietet HARMONIA zum Einführungspreis von 49,- US-Dollar an, als virtuell-regulärer Listenpreis werden 69,- US-Dollar genannt. Eine 30 Tage lang lauffähige Demoversion, die außer periodischen Störsignalen keine Einschränkungen aufweist, ermöglicht einen ausgiebigen Test vor dem Kauf.
Das optionale EUPHONIC SONICS Preset Pack von John Dyson ist bei CHERRY AUDIO für recht schlanke 9,99 USD zu haben.
Positives:
+ guter Grundklang
+ ungewöhnliches Oszillatorkonzept
+ eigene Samples integrierbar
+ einfache Bedienung
+ brauchbare Effekt-Sektion
+ umfangreiche MIDI-Learn-Sektion
+ vergleichsweise geringe CPU-Anforderungen
+ fairer Preis
Negatives:
– keine Offline-Aktivierung bzw. -Installation möglich
Produktwebseite HARMONIA: https://cherryaudio.com/products/harmonia
Produktwebseite EUPHONIC SONICS: https://store.cherryaudio.com/presets/euphonic-sonics-for-harmonia